23/09/2015 Dr. Dominik Faust

24hBILD bei Periscope wirft Fragen auf

Er hat es genossen. Das konnte man sehen. Seit heute Morgen führte Kai Diekmann die Welt bzw. die in Spitzenzeiten knapp über 1.000 Periscope-Nutzer durch sein Reich. Noch bis morgen Früh um 6:30 Uhr läuft das Experiment 24hBILD bei Periscope. Dabei werden den Nutzern 24 Stunden lang Einblicke in die Arbeit von Deutschlands größter Tageszeitung gewährt. Höhepunkte des Vormittags waren die Chefredakteurs-Konferenz, die anschließende Blattkritik und schließlich Diekmanns Entschuldigung in Sachen #BILDnotwelcome. So weit, so gut? Nicht ganz!

Redaktionskonferenzen live?

Es wird sicher eine Ausnahme bleiben, eine Redaktionskonferenz live im Netz zu verbreiten. Denn wer nicht aufpasst, verliert seine Exklusivität, die in Zeiten von Paid Content eine zentrale Rolle spielt. Man kann sich einerseits nicht zu Recht über Mitbewerber beschweren, die Content hinter der Paywall klauen und kostenfrei auf die eigene Seite stellen, während man andererseits seine Themen vor der nächsten Ausgabe öffentlich macht. Auch die öffentliche Ankündigung, mit dieser oder jener Person noch im Laufe des Tages sprechen zu wollen, kann dazu führen, dass am Ende kein umfassendes Bild gezeichnet werden kann. Denn aufgeschreckte Informanten oder vorgewarnte Gesprächspartner könnten sich dann eher zurückhalten. So wird es zum Beispiel spannend sein, ob es Kai Diekmann und seiner BILD im Laufe des Tages noch gelingen wird, einen O-Ton von Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch zum aktuellen VW-Skandal für die morgige Printausgabe zu erhalten. Einen Informationsvorsprung dürfte Piëch etwa seit 10:45 Uhr haben.

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Live verändert den Journalismus

Das Experiment 24hBILD bei Periscope zeigt aber, wohin die Reise des Echtzeit-Journalismus geht. Live-Blogs sind ganz nett, Live-Berichterstattungen in Form von Bewegtbildern sind jedoch der Hit. Klar hapert es hier und da mit der Übertragungsqualität, ist die Bildauflösung schlecht, erreicht das Handy-Mikrofon nicht den Redner. Aber das Erlebnis, von überall aus der Welt aus einem Ereignis seiner Wahl live beiwohnen zu können, ist schon genial. Das verändert den Journalismus weiter. Und es führt im Übrigen auch zu neuen Herausforderungen für Unternehmen, wie Diekmanns Hinweis auf den Betriebsrat zeigt. Der war vorab informiert worden und hatte erklärt, dass kein Redakteur der BILD gegen seinen Willen auf Periscope gezeigt werden dürfe.

Die nächste Kostenlos-Falle?

Gleichzeitig müssen die Medien aufpassen, dass sie nicht in die nächste Falle tappen. Als das Internet aufkam, stellten sie das Wertvollste, das sie hatten, nämlich den Content, kostenlos ins Netz. Die Nutzer hat diese Kostenloskultur so stark geprägt, dass es den Verlagen seit Jahren schwer fällt, digitale Inhalte zu monetarisieren. Wer jetzt aus nachvollziehbaren Gründen erneut versucht, mit einer neuen Technik junge Zielgruppen für kostenlosen Content bzw. bewegte Informationen zu gewinnen, der riskiert, einen schweren Fehler zu wiederholen. Andererseits kann heute jedermann mittels Periscope oder anderen Diensten wie Meerkat, Bambuser & Co. bewegte Informationen verbreiten. Eine kostenpflichtige Exklusivität kann sich somit im Grunde genommen nur noch über den exklusiven physischen Zugang zu Ereignissen (Stichworte: Informationsvorsprung, Übertragungsrechte), über gelungene aktive Interaktion mit den Zuschauern (funktionierte heute bei 24hBILD sehr gut) und eventuell noch über die Qualität der Übertragung samt zusätzlicher Rahmenangebote ergeben.

Ab wann ist man Rundfunkanbieter?

Dem Fernsehen wird eine große Suggestivkraft unterstellt, es gilt als meinungsmächtigstes Medium. Daher müssen Hörfunk- und Fernsehanbieter nach dem Rundfunkstaatsvertrag eine medienrechtliche Zulassung beantragen. Diese werden von den Landesmedienanstalten erteilt. Als Rundfunk zählt nach Angaben der Medienanstalten „jede lineare, für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild und/oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Übertragungswege.“ Wer also etwas Ähnliches wie die 24hBILD plant, muss sich auch mit diesem Thema auseinandersetzen.

Fazit zu 24hBILD

Die Aktion 24hBILD auf Periscope war und ist beeindruckend. Wer nur ein bisschen Ahnung von cross- und multimedialem Arbeiten hat, kann den Aufwand für die Planung und Durchführung der Aktion ermessen. Der Erkenntnisgewinn war für alle, die Interesse an Blicken hinter die Kulissen von Springers Flaggschiff haben, relativ groß. Wer die Aktion als Einladung zum Dialog mit BILD sehen wollte, als die sie auch gedacht war, der hatte dazu ausreichend Gelegenheit. Wer die Aktion allerdings als Prototypen für künftigen Journalismus betrachten oder sie als Anregung für seine Content Marketing Strategie in Erwägung ziehen möchte, wird neben der Anerkennung für die erbrachte Leistung an wichtigen Fragen nicht vorbei kommen.

Fotos: BILD GMBH & CO. KG

Update 24.09.2015: BILD hat einen 24-minütigen Zusammenschnitt der 24-Stunden-Aktion als Best-of online gestellt.

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Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.