10/06/2016 Dr. Dominik Faust

Paid Content in der Zwickmühle

Medienhäuser zwischen Profi oder Reichweite und Nutzerfreundlichkeit

Mit dem Paid Content ist das so eine Sache: Einerseits sehen viele Verlage in Paywalls und kostenpflichtigen Apps neue Geschäftsmodelle, um ihre teuer produzierten Inhalte auch digital vertreiben zu können. Andererseits reduzieren Verlage mit Bezahlschranken die Reichweiten ihrer News-Seiten, was unmittelbare Auswirkungen auf die Vermarktung ihrer dortigen Werbeinventare hat. Hinzu kommt, dass immer mehr Verlage Content in soziale Netzwerke einstellen, was wiederum Konsequenzen für die Zugriffszahlen auf ihre News-Seiten hat. Und als wäre diese Zwickmühle nicht komplex genug, sind die Bezahlangebote der Verlage oft nicht wirklich nutzerfreundlich.

Paid Content: 120 Paywalls und 50 Apps

Paywalls sind in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. Hatten bis Ende November 2013 noch 66 deutsche Zeitungen Bezahlschranken errichtet, sind es drei Jahre später bereits 120. Die beiden führenden Zeitungsportale mit Paid Content sind BILD plus und WeLT. Nach der jüngsten IVW Meldestatistik kam BILD plus zuletzt auf über 320.000 digitale Abonnenten. Die Welt erreicht knapp 75.000. So weit, so gut.

Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass unter den 129 Tageszeitungen mit Vollredaktion nicht einmal die Hälfte auf diese Monetarisierungs-Strategie setzt: Ganze 60 Titel, bei denen Inhalte nicht von anderen (Mantel-) Redaktionen übernommen werden, haben eine Paywall eingeführt. Das teilte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf viadoo-Anfrage mit. Die meisten Paid Content Anbieter setzen im Übrigen entweder auf das Freemium Modell (exklusiver Content ist kostenpflichtig) oder auf das Metered Model (eine bestimmte Anzahl [„metered“] von Artikeln pro Woche/Monat ist frei, der Rest ist kostenpflichtig).

Neben Paywalls sind auch kostenpflichtige Apps Monetarisierungs-Lösungen für Content. In Deutschland zählt der BDZV derzeit 125 Verlage mit Apps für Smartphones und Tablets. Dabei handelt es sich um News-Apps, Themen-Apps sowie Digitalzeitungen, zu denen zum Beispiel ausschließlich digital verfügbare Sonntagsausgaben gehören. Von diesen 125 Apps sind rund 50 kostenpflichtig.

Nutzerfreundlich geht anders

Externe Anmeldedienste verwirren

Bezahlschranken zu haben, ist allerdings noch keine Garantie dafür, dass sie von Nutzern angenommen werden. Der Preis ist dabei nicht allein ausschlaggebend. Aus unserer Beratererfahrung wissen wir, dass die Benutzerfreundlichkeit von Paid-Content-Angeboten mitentscheidend für deren Akzeptanz ist. Da kann man einiges verbessern. So werden zum Beispiel häufig externe Anmeldedienste dazwischen geschaltet, die für Verunsicherung sorgen können. Die Axel Springer SE nutzt etwa die mypass GmbH für solche Zwecke. Dorthin wird man geleitet, um sich für digitale Dienste von WeLT, BILD & Co. mit ID und Passwort anzumelden. Anderes Beispiel: Bei Krautreporter lag die Registrierungs-Seite beim Start 2014 zunächst auf der Domain sparker.de. Dahinter steckt das Unternehmen Sparker UG in Berlin. Es wickelt die Anmeldungen für Krautreporter ab.

Komplizierte Datenschutzregelungen

Bei aller notwendigen Transparenz lässt sich das Einbinden von Anmeldediensten optimieren. Denn für User ist es verwirrend, wenn sie E-Mails von unbekannten Unternehmen bekommen, in denen sie aufgefordert werden, eine Anmeldung zu bestätigen – ohne Hinweis darauf, dass diese Anmeldebestätigungen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Digital-Abonnements stehen. Hinzu kommt, dass durch die externen Anmeldedienste auch die Komplexität der Datenschutzregelungen steigt. Es genügt dann nicht mehr, als User die Nutzungs- und Datenschutzbedingungen der Verlage zu akzeptieren. Vielmehr müssen Abonnenten auch in die Nutzungsbedingungen und Datenschutzerklärungen der Online-Anmeldedienste einwilligen.

Welche App darf es denn sein?

Als wäre das nicht schon komplex genug, steht Nutzern mittlerweile eine Flut an Verlag-Apps zur Verfügung. Einige darunter nennen sich „ZeitungsApp“ (Süddeutsche Zeitung), „F.A.Z. Kiosk“, „Die WELT Edition“ oder Digitale Zeitung. All die genannten eint, dass es sich um Apps für die E-Paper-Ausgaben der jeweiligen Print-Titel handelt. Der mittlerweile auch bei den Nutzern bekannte Begriff „E-Paper“ wird in den App-Logos jedoch häufig nicht verwendet. Zu den Ausnahmen zählt die – sehr erfolgreiche – DIE ZEIT (siehe Grafik).

Paid Content

Die optische Verwirrung in den App-Stores dürfte darin begründet sein, dass Verlage offenbar nur einen Prozess zum Abschluss eines Digital-Abos kennen: Den über ihre Websites, von wo aus User dann zur richtigen App geleitet werden. Apps bekommt man aber z.B. auch in Stores empfohlen oder geht dort nach ihnen auf die Suche. Hier gäbe es also noch Optimierungsbedarf bei den Vertriebsprozessen.

Neben den erwähnten E-Paper-Apps haben viele Verlage weitere Anwendungen für ihre verschiedenen Content-Angebote entwickelt. Die F.A.Z. ist zum Beispiel mit sechs Apps am Start. Hinsichtlich der Differenzierbarkeit solcher Angebote sowie ihrer Nutzerfreundlichkeit ist bei vielen Verlagen noch deutlich Luft nach oben.

Payment wie in analogen Zeiten

Das gilt auch für die Preisgestaltung und das Payment von Paid Content. Eigentlich ist der Markt technisch in der Lage, Content bis auf die Losgröße eins hinunter anzubieten. Doch Verlags-Lösungen für Paid Content lassen häufig nur die Wahl zwischen ganz oder gar nicht, Abo oder nichts. In der Folge muss man wie in der analogen Print-Welt für ein Angebot bezahlen (z.B. komplette Print-Ausgabe in digitaler Form als E-Paper oder alle Inhalte hinter der Paywall), von dem man in der Regel nur einen (kleinen) Teil tatsächlich nutzt. Lediglich auf individualisierten Paid-Content-Angeboten wie Blendle oder Pocketstory ist es bislang möglich, einzelne Artikel zu kaufen und nicht das ganze Medium. Wie sehr die Nachfrage nach solchen Lösungen eigentlich ist, zeigt die Paid Content Studie 2016 des DCE-Instituts. Demnach sind Einzelkäufe mit einem Anteil von 92 Prozent die meistgenutzte Kaufoption. Abo-Modelle nutzen lediglich 31 Prozent der User.

Bei Content-Aggregatoren wie Blendle ist das Payment via Portemonnaie dabei ebenso smart wie nutzerfreundlich. Es ist grundsätzlich vergleichbar mit ÖPNV-Apps, bei denen man nur einmal seine Zahlungsmethoden hinterlegt und dann Ticket für Ticket auf einfachste Art und Weise in Sekundenschnelle bezahlt. Solche Modelle sind nutzerfreundlich. Das haben die Verlage erkannt. Nicht zuletzt deshalb planen laut BDZV-Trendstudie 2016 48 Prozent von ihnen, redaktionelle Inhalte in Content-Aggregatoren einzubringen. Übrigens gibt es beim ÖPNV auch Flatrates: Streifenkarten. Solch ein Modell kennt man in der hiesigen Medienwelt primär von Readly oder von Tages-, Monats- oder Jahrespässen. Nach der erwähnten Studie sind Nutzer bereit, im Durchschnitt monatlich maximal zehn Euro für eine solche Flatrate zu bezahlen.

Reichweiten von News-Seiten sinken

Während also auf der einen Seite Zeitungen ihre Bezahlangebote ausbauen, stagnieren oder sinken die Reichweiten auf ihren News-Seiten. So mussten im April dieses Jahres fast alle der 15 größten Nachrichtenportale in Deutschland rückläufige Zugriffszahlen im Vergleich zum Vormonat verzeichnen. Die SZ legte allerdings als Folge des Panama-Papers-Scoop wie erwartet zu. Die Rückgänge der anderen lagen zum Teil sogar im zweistelligen Prozentbereich. In den USA hat dieser Trend bereits zu Entlassung geführt (etwa bei Mashable). Denn mit sinkender Reichweite sinken die Erlöse, die über Onlinewerbung erzielt werden können. Dessen ungeachtet rechnen die hiesigen Verlage 2016 mit einem Umsatzwachstum in Höhe von 8,3 Prozent im Bereich digitaler Werbung, so ein weiteres Ergebnis der BDZV-Trendstudie.

Ein Ausweg aus dem Dilemma von sinkender Reichweite durch steigenden Paid-Content-Anteil könnte sein, künftig gar nicht mehr auf Reichweite, sondern nur noch auf Paid Content zu setzen. Diesen Schritt haben bislang jedoch nur wenige Medienhäuser unternommen. Als Vorreiter dafür gilt die Rhein-Zeitung, wie wir vor einem Jahr in diesem Blog schrieben. Nach Angaben des Unternehmens hat sie im ersten Quartal 2016 im Digitalen erstmals mehr Umsatz mit Inhalten gemacht als mit Werbung. Die Visits und Page Impressions sind allerdings auch bei der Rhein-Zeitung im Vergleich zum Vorjahr rückläufig (Visits: -8,6 %, PI: -20,6%).

Content-Distribution via Facebook & Co.

Zur Stagnation bzw. Reduzierung der Reichweite auf Nachrichtenwebsites tragen aber nicht nur Content-Aggregatoren bei, sondern auch Inhalte, die über Facebook als Instant Articles oder über andere Distributoren (Apple etc.) ausgespielt werden. Dennoch wollen 49 Prozent der Verlage in Deutschland redaktionelle Inhalte in Distributed-Content einbringen. Facebook wird nicht zuletzt deshalb interessant für Verlage, weil Unternehmen in seinen Messanger künftig Chatbots integrieren können, was die Interaktion zwischen Verlagen und Rezipienten, aber auch Werbekunden fördern kann. Inwieweit sich Verlage letztlich an Facebook binden oder sich gar zu dessen Zulieferer degradieren, bleibt abzuwarten. Mathias Müller von Blumencron von der FAZ hatte auf dem Medienforum NRW im vergangenen Jahr dazu Position bezogen. Ein Jahr später testet sein Blatt nun doch Instant Articles.

Fotos: © Faust / viadoo GmbH

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Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.