Die Bauindustrie steht unter großem Veränderungsdruck: Wirtschaftlich geht’s aktuell bergab, beim Thema Nachhaltigkeit gibt’s viel Nachholbedarf und in Sachen Digitalisierung tut sie sich ebenfalls schwer. Nicht ohne Grund standen in diesem Jahr die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Zentrum der weltgrößten Messe für die Bauindustrie sowie für die Baustoff- und Bergbaumaschinenindustrie (bauma). Wir von der Changeberatung viadoo haben darüber mit Ausstellern vor Ort in München gesprochen und uns ein Bild gemacht. Wichtigste Erkenntnis: Die Bauindustrie nimmt die Herausforderungen an.
Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Bauindustrie
Bauwerke haben eine lange Nutzungsdauer und verbrauchen viel Energie und Ressourcen. So nutzt die Bauindustrie mehr als 70 % aller in Deutschland abgebauten Rohstoffe. Aufs Konto des Baugewerbes geht nach Angaben des Umweltbundesamtes zudem rund 1 % des gesamten Energieverbrauchs hierzulande. Also 202.437 Terajoule (Stand: 2018). Diese Zahl berücksichtigt allerdings nicht jene „graue Energie“, die für die Herstellung oder zum Recycling von Baustoffen benötigt wird. So gelten Zementfabriken mit einem Anteil von 7 % als die weltweit drittgrößten CO2-Emittenten nach Kraftwerken und Fahrzeugen. In Deutschland gibt es gut 30 davon. Weltweit ist die Bauindustrie für nahezu 30 % der CO2-Emissionen verantwortlich.
Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit sind das keine guten Zahlen. „Green Building“ soll dem durch Einsparung von Energie und Rohstoffen entgegenwirken. Die deutsche Zementindustrie etwa will zu diesem Zweck bis 2050 klimaneutral werden. Die Hersteller von Baumaschinen wiederum reagieren darauf mit der Entwicklung hybrider bzw. komplett elektrischer Antriebe. So hat Liebherr unter anderem in seinen gigantischen Muldenkipper T 284 einen E-Antrieb integriert, der bei Bedarf via Oberleitung (Trolley-Assist-Option) gespeist wird. Auch Komatsu hat seinen riesigen Bagger PC4000-11 elektrifiziert (vgl. Bild oben). Mitbewerber Putzmeister hat für seine lokal emissionsfreien Maschinen und Fahrzeuge eine eigene Linie unter dem Namen „iONTRON“ entwickelt (vgl. Bild unten).
Digitalisierung in einem schweißtreibenden Geschäft
Auf die Ökologie und damit Nachhaltigkeit können auch digitalisierte Prozesse einzahlen. Nicht zuletzt deshalb, aber auch aus Gründen höherer Effizienz, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit investiert die Bauindustrie in ihre Digitalisierung. Auch dafür lieferten Aussteller auf der bauma 2022 eindrucksvolle Beispiele. So gehören bei Liebherr längst digitale Lösungen fürs Baustellenmanagement, für die Überwachung eingesetzter Maschinen und für die Baustellen-Dokumentation zum Portfolio. Auch die Hersteller von Schalungs- und Gerüstsystemen stehen nicht mehr nur für schweißtreibende Arbeit auf der Baustelle. Vielmehr haben sie sich zusätzlich zu Software-Firmen weiterentwickelt. PERI aus der Nähe von Ulm etwa bietet Planungssoftware, Systemkonfiguratoren oder Bauteil-Bibliotheken für BIM-Software (Building Information Modeling).
Innovationsfreudig zeigt sich auch der Schalungsbau-Weltmarktführer aus Österreich: Doka präsentierte auf der bauma 2022 eine Lösung, mit der Baustellen als LED-Werbeflächen genutzt werden können. Entwickelt wurde das System „SiteLight“ mit Umdasch Group Ventures. Dabei handelt es sich um eine 2017 gegründete Tochtergesellschaft der Umdasch Group AG, zu der auch Doka gehört. Der Investor geht von einem Marktpotenzial für Außenwerbung aus, das von knapp 19 Milliarden USD in 2020 auf knapp 59 Milliarden USD im Jahre 2031 ansteigt. Somit zielt Umdasch mit seiner neuen Digital-Out-Of-Home (DOOH) Lösung auf etablierte digitale Außenwerbung wie Stroer. Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie Marktführern unerwartet Konkurrenz aus völlig anderen Branchen erwachsen kann. Das nennt man dann Disruption.
Ein Innovation Hub für die Bauindustrie
Umdasch Group Ventures versteht sich übrigens als “Future & Innovation Hub” der Umdasch Group. Auf der bauma 2022 präsentierte sich der Investor in einem eigenen Gebäude. Darin stellten Firmen mit Umdasch-Beteiligung ihre Entwicklungen aus. Eine davon war das Corporate Start-up CONTAKT GmbH, das ein digitales Cockpit für die Baustelle entwickelt hat. Die Software „Sitelife“ ermöglicht digitales Planen, Dokumentieren und Analysieren von Bauprojekten. Darüber hinaus präsentierte Umdasch Group Ventures einen mobilen 3D-Baudrucker sowie ein 3D Computer Vision System (Beta-Phase) mit künstlicher Intelligenz zum Erkennen von Baufortschritten in Echtzeit.
Fazit: Motiviert zu mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung
Eigentlich steckt die Bauindustrie in keinen rosigen Zeiten. Fachkräftemangel, Zinserhöhungen, Inflation, Energiekrise, immer neue Anforderungen an den Umweltschutz. Die Liste ihrer Herausforderungen ist lang. Und dann musste Peter Hübner, der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), vor wenigen Tagen die Umsatzprognose seiner Branche für das laufende Jahr weiter nach unten korrigieren: „Wir erwarten für das Gesamtjahr nun einen realen Umsatzrückgang von 5 %.“ Allein im Wohnungsbau hatte der Verband zuletzt einen Auftragseinbruch von 24 Prozent verzeichnet. Dabei müsste die öffentliche Hand dringend in die über Jahrzehnte vernachlässigte Infrastruktur sowie in den sozialen Wohnungsbau investieren.
Doch ungeachtet dieser düsteren Aussichten waren auf der bauma 2022 Aufbruchstimmung und Optimismus unter den Ausstellern zu beobachten. Die Unternehmen wollen die Bauindustrie aus Überzeugung nachhaltiger und digitaler machen. Und sie wissen, dass Nachhaltigkeit und Digitalisierung die wichtigsten Treiber von Veränderungsprozessen sind. Diese intern systematisch zu steuern, wird eine weitere wichtige Aufgabe für die Firmen sein.
Alle Fotos: © Faust / viadoo GmbH