Die #bits20, also die diesjährige Gründerkonferenz Bits & Pretzels ist zwar schon ein paar Tage vorüber. Doch nicht zuletzt angesichts der zweiten COVID-19-Welle wirkt ihr digitales Konzept als Vorbild weiter. Dazu muss man wissen, dass die Veranstaltung normalerweise über drei Tage zur Oktoberfestzeit in München stattfindet. Dass sich normalerweise rund 5.000 Besucher sowohl im Internationalen Congress Center München (ICM) in Riem als auch im Festzelt Schottenhamel auf der Wiesn tummeln. Zum Line-up der analogen Version gehören umjubelte Auftritte internationaler Stars wie Barack Obama (2019), Tarana Burke (2018), Kevin Spacey (2017 und 2016) oder Richard Branson (2016). Doch 2020 war alles anders. Weil wir von der Changeberatung viadoo Teilnehmer sowohl der analogen (vgl. Bericht) als auch der diesjährigen virtuellen Variante waren, wagen wir einen Vergleich.
Der Versuch, eine ursprünglich analoge Veranstaltung mit tausenden von Besuchern ins Internet zu übertragen, ist nicht neu. Manchen gelingt es, wie Anfang Mai der re:publica20, der größten Konferenz zu den Themen Internet und digitale Gesellschaft in Europa. Andere scheitern kläglich. So die Luft- und Raumfahrtmesse ILA, die durch den Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) und der Messe Berlin als „ILA Goes Digital“ halbherzig und emotionslos dilettierte. Doch wie definiert man Erfolg bei einem virtuellen Event?
Für Veranstalter von Messen und Kongressen zählen unterm Strich die Menge der vermieteten Standflächen sowie die Zahl der Besucher. Und was zählt überm Strich? Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind Emotionen. Nur, wer sich als Aussteller bzw. Besucher wohl fühlt, kommt gerne und zahlt Standgebühren bzw. Eintrittsgelder. Das ist schon unter normalen Bedingungen nicht immer einfach. Umso größer ist die Herausforderung, die Emotionen einer analogen Veranstaltung ins Digitale zu transformieren, und Menschen zu begeistern.
Table-Captains und Gründer-Roulette fürs Wir-Gefühl
Das Besondere an Europas führenden Gründerkonferenz Bits & Pretzels ist der Geist, den sie atmet. Auf ihr kommen seit 2014 jedes Jahr zur Wiesnzeit Menschen zusammen, die innovative Lösungen entwickeln. Sie suchen den Austausch mit Gleichgesinnten, wollen Lernen, sich weiterbilden. Sie wollen Kontakte knüpfen zu neuen Teammitgliedern, zu potenziellen Partnern und zu Investoren. Das Übertragen dieses Vernetzungsaspekts, dieses Gemeinschaftsgedankens, dieses Wir-Gefühls in die digitale Welt. Das war die eine große Herausforderung für die Veranstalter der #bits20.
Klar war, dass es aufgrund der digitalen Distanz länger dauern würde, ein Wir-Gefühl zu entwickeln als in der analogen Welt. Nicht ohne Grund verdoppelten Andy Bruckschlögl, Bernd Storm und Felix Haas die Dauer der virtuellen Variante ihrer Veranstaltung auf sechs Tage (27.09. – 02.10.) und nannten sie Bits & Pretzels Networking Week. Gleichzeitig schafften sie verschiedene Online-Plattformen, auf denen sich die weltweit verteilten Mitglieder des Startup-Ökosystems vernetzen konnten. Dazu gehörten unter anderem das „Founders Roulette“ für dreiminütige Speed-Datings oder virtuelle Stände im „Startup Village“, auf denen Gründer ihre Ideen präsentieren konnten. Auch die über 100 Master-Classes zur Weiterbildung („Bits Academy“) zahlten auf das Wir-Gefühl ein.
Die genannten Angebote hatte es bereits in der analogen Variante von Bits & Pretzels gegeben. Das galt auch für die Idee der „Table Captains“. Was sonst allerdings an extra vorbereiteten Tischen im Festzelt auf der Wiesn stattfindet, funktionierte in der Online-Version 2020 so: An zwei Abenden konnten sich bis zu zehn Gründer mit je einem Experten 45 Minuten lang zusammenschalten und Tipps für ihr Business einholen. Ihren Experten-Tisch bzw. Table-Captain wählten die Nutzer einige Tage vor Beginn der Messe. Auf all diesen Online-Plattformen konnte das Wir-Gefühl reifen. Es gelang, positive Emotion zu erzeugen.
Festzelt-Emotion fürs Homeoffice
Zum besonderen Geist der Bits & Pretzels gesellt sich normalerweise auch ihre besondere bayerische Atmosphäre, die nicht zuletzt im Titel zum Ausdruck kommt. Dies in die digitale Welt zu übertragen, war die zweite große Herausforderung der Veranstalter. Doch wie schafft man es, sowohl die energiegeladene Atmosphäre von 5.000 hochmotivierten Netzwerkern in einem Audimax als auch die heiter-gesellige Atmosphäre eines vollen Bierzeltes auf den schnöden Monitor einsamer Solo-Video-Caller zu übertragen?
Mit Dan Ram! Der Moderator (aka Daniel Ramamoorthy) verstand es, sein virtuelles Publikum an ihren Bildschirmen fast so gut zu motivieren und emotional mitzureißen wie sonst bei seinen Live-Auftritten vor tausenden Menschen. Dan sorgte mit seiner positiven Art stets für gute Laune! Unterstützung fand er durch eine flott aufspielende Live-Band. Vielleicht hätten eingespielte Applaus-Sequenzen das Stimmungsbarometer noch etwas steigen lassen. Ebenso engagiert führte Britta Weddeling Interviews auf hohem Niveau. Die frühere Korrespondentin des Handelsblatt im Silicon Valley überzeugte in ihren Gesprächen mit dem langjährigen Google-CEO Eric Schmidt, mit Slack-Gründer Stewart Butterfield, mit Huffington-Post-Gründerin Arianna Huffington und anderen stets durch fundierte Detailkenntnisse.
Neben anregender Moderation, interessanten Gesprächen und musikalischen Unterbrechungen sorgten die Macher von #bit20 auch dafür, dass Teilnehmer im Vorfeld eine Flasche Bier vor dem Monitor in Händen halten konnten. Ergänzt wurde das unter anderem durch den Hashtag #bits20 und das Angebot an Teilnehmende, individuelle Social Media Visuals erstellen zu lassen (vgl. mittleres Foto in der Titelbild-Collage), um diese auf ihren Kanälen zu teilen. Hinzu kam die Aktion #shareapretzel, bei der Teilnehmende ein Foto mit einer Brezel auf Instagram posten und mit dem genannten Hashtag versehen sollten. Für jeden Post wollten die Veranstalter echte Brez’n der Münchner Tafel e.V. spenden. Für Emotion war also auch hier gesorgt.
#bits20: Technik vom Feinsten
Die beste Moderation mit Emotion und O-Ton nützt jedoch nichts ohne geeignete Location und Technik. Beides wird zwingend zur Produktion virtueller Veranstaltungen und zur Distribution der Inhalte auf die Rechner der virtuellen Besucher benötigt. Bits & Pretzels wurde in den Räumen der auf Brand Experiences spezialisierten Agentur Avantgarde im Münchner Werksviertel produziert. Sechs Tage lang streamte die Crew live aus dem München Hoch 5, dem Eventspace der Avantgarde-Gruppe. Dazu hatten die Macher von #bits20 unter anderem drei Bühnen nebeneinander aufgebaut. Sie wurden wahlweise zum Bierfass-Anstich, zu Interviews oder Gesprächsrunden genutzt. Hinzu kamen weitere Settings im Haus.
Die verschiedenen Bühnen waren nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil die Bits & Pretzels Networking Week auf drei parallelen Streams Inhalte sendete. Dabei entsprach der Hauptkanal gewissermaßen dem großen Saal im ersten Stock der Messe München. Dort sind in der analogen Version die großen Showacts zu sehen. Die Inhalte, die dieses Jahr auf den beiden „Vertical Streams“ gesendet wurden, konnten als Äquivalent zu jenen Vorträgen oder Diskussionen angesehen werden, die normalerweise in kleineren Räumen der ICM stattfinden.
Eigene virtuelle Event-Plattform entwickelt
Und worauf basierte die Online-Plattform? Auf einer eigenen Entwicklung von Bits & Pretzels und der Mayflower GmbH, genannt mingle.cloud. Die Mingle.Cloud GmbH in München vertreibt die Software, sodass sie andere Veranstalter virtueller Messen und Events nutzen und damit von den Erfahrungen der renommierten Gründerkonferenz profitieren können. Vielleicht hat das auch die FC Bayern München AG überzeugt, deren 2018 gegründete Tochterfirma FC Bayern Media Lab kürzlich eine strategische Partnerschaft mit Bits & Pretzels eingegangen ist. Der designierte Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn war übrigens ein weiterer prominenter Redner auf der Bits & Pretzels Networking Week.
Gründer-Frühstück als Probelauf im März
Etwas Wichtiges für den Erfolg der #bits20 kommt hinzu: Im Frühjahr hatten Andy Bruckschlögl, Bernd Storm und Felix Haas bereits eine Art Testlauf durchgeführt: Am 29. März, also rund 14 Tage nach Beginn des Lockdowns in Deutschland, hatten sie ein virtuelles Gründer-Frühstück veranstaltet. Mit dabei waren unter anderem Nico Rosberg, Kevin Spacey und Frank Thelen. Drei Stunden streamten sie damals ins Netz. Konzept, Ablauf und Realisation waren allerdings noch deutlich ausbaufähig. Für Emotionen sorgten die Macher und ihre Gäste jedoch schon damals.
Fazit zur #bits20
An der virtuellen Version von Europas führender Gründerkonferenz Bits & Pretzels können sich andere Veranstalter guten Gewissens orientieren. Es sollte ihnen jedoch bewusst sein, dass das Übertragen analoger Events/Messen in ein digitales Format zum Teil völlig andere Fähigkeiten und Fertigkeiten verlangt als etwa im klassischen Messebetrieb. Rein technisch betrachtet bedarf es vor allem eines ein Zusammenspiels aus erstklassiger Videoproduktion & Streaming-Technik sowie geeigneter Software. Und der Funke zu den Teilnehmenden muss überspringen. Emotionen müssen im Mittelpunkt stehen. Entscheidend sind daher die Auswahl der Showacts und Moderatoren, das Setting, die Ideen zur Partizipation.
Was beim Bits & Pretzels Virtual Founders Breakfast im März noch holprig funktionierte, hatten die Macher bis zum Start der Bits & Pretzels Networking Week im September optimiert – auch wenn immer noch nicht alles perfekt lief. Übrigens: Seit gestern sind alle Videomitschnitte für diejenigen online, die sich ein Ticket zur Bits & Pretzels Networking Week gekauft hatten. Einen besseren After-Sales-Service kann man sich als virtueller Besucher bzw. Teilnehmer eigentlich kaum vorstellen.
Titelbild-Collage: © Faust / viadoo GmbH