Corporate Heritage ist das ideelle Erbe eines Unternehmens. Es ist seine Geschichte. Es ist die Summe der Geschichten seiner Beschäftigten, in denen sich Firmenwerte und Firmenkultur widerspiegeln. Wer eine Restrukturierung, einen Kulturwandel oder sonstige Veränderungen plant, sollte die Firmengeschichte von Beginn an konzeptionell mit einbeziehen. Denn sie trägt maßgeblich dazu bei, dass sich Beschäftigte mit ihrem Unternehmen identifizieren. Das wiederum ist wichtig, damit sie während der anstehenden Veränderung nicht ihre Loyalität zu ihrer Organisation verlieren. Nur dann kann eine Restrukturierung auch gelingen. Ein Paradebeispiel für ausgeprägte Corporate Heritage bietet die Porsche AG. Sie kann durchaus als Vorlage für Startups und junge Unternehmen dienen.
Wie hängen Porsche und Volkswagen zusammen?
Werfen wir also einen kurzen Blick in die Historie: Ohne es zu wissen, legt Ferdinand Porsche im Jahre 1934 den Grundstein für zwei der renommiertesten Unternehmen der Welt. Denn in diesem Jahr konstruiert der junge und selbständige Ingenieur im Auftrag des Reichsverbandes der Automobilindustrie (heutiger VDA) und nach Vorgaben von Adolf Hitler den ersten Volkswagen. Um diesen VW Käfer in großer Stückzahl produzieren zu können, errichtet das NS-Regime 1938 im heutigen Wolfsburg das Volkswagenwerk. Heute ist die Volkswagen AG der größte Automobilhersteller der Welt. Ebensolchen Weltruhm hat auch die Dr. Ing. h.c. F. Porsche Aktiengesellschaft (kurz Porsche AG). Der Entwickler und Hersteller von Sportwagen ging 1945 aus Ferdinand Porsches Ingenieurbüro hervor. Soweit die knappe Historie.
Beide Firmen sind bis heute über die Familien Porsche und Piëch familiär und gesellschaftsrechtlich eng miteinander verbunden. So gehört die Porsche AG seit 2009 zur Volkswagen AG, an der wiederum die Porsche Automobil Holding SE (kurz Porsche SE) als größter Einzelaktionär 53,3 Prozent der Stammaktien hält. Der CEO der Porsche AG, Dr. Oliver Blume, ist zudem seit 2018 Mitglied des Vorstands der Volkswagen AG.
Ab wann sollten sich Firmen um Corporate Heritage kümmern?
Dass Corporate Heritage nicht nur ein Thema für traditionsreiche Unternehmen ist, belegt Porsche selbst. Denn bereits seit den 50er Jahren – und damit nur zehn bis fünfzehn Jahre nach ihrer Gründung – sammelt die Porsche AG Fahrzeuge, mit denen sie zum Beispiel an Motorsport-Wettbewerben teilnahm. Mittlerweile umfasst die Sammlung über 700 Autos, darunter 200 Motorsport-Fahrzeuge. Und seit 1976 stellt Porsche seine zum Teil sagenumwobenen Showcars, Entwicklungsfahrzeuge und Serienfahrzeuge öffentlich aus. Seit 2009 tut sie dies im damals neu errichteten Porsche-Museum am Stammsitz in Zuffenhausen. Dort lagern außerdem zwei Kilometer Akten und 2,5 Millionen Fotos des Firmenarchivs, das zurück bis zur Stunde Null reicht.
An diesem rechtzeitigen Aufbau des Porsche Corporate Heritage können sich heutige Startups und junge Firmen orientieren. Auch wenn sie jetzt noch nicht wissen sollten, wozu die Unterlagen und die in sozialen Medien oder Firmenpublikationen erzählten Geschichten eines Tages dienen können: sie sollten sie sorgfältig aufbewahren. Natürlich tut man sich dabei leichter, wenn man wie Porsche attraktive Produkte mit weltumspannendem Kultstatus produziert. Doch das stimmt nur zum Teil: Denn auch Patente mit weniger Sexappeal wie der Dübel von Arthur Fischer oder der MP3-Player des Fraunhofer-Instituts haben das Zeug für eine identitätsstiftende Corporate Heritage, ein ideelles Unternehmenserbe.
Warum ist Corporate Heritage Teil der Kommunikation?
Klar ist: Corporate Heritage ist eine langfristige Aufgabe. Und irgendwann kommen auch Startups und junge Unternehmen an den Punkt, wo sie die systematische Aufbereitung ihres ideellen Erbes in professionelle Hände legen müssen. Das können externe Partner sein oder interne Abteilungen. Bei Porsche kümmert sich etwa das Team „Heritage und Porsche Museum“ (GO-H) innerhalb der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Presse, Nachhaltigkeit und Politik um dieses Thema. Das Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Traditionsarbeit nachhaltig in der Unternehmensstrategie zu verankern.
Wir von der Changeberatung viadoo empfehlen genau das auch unseren Mandanten – egal welcher Größe – und subsumieren diesen Rat schon immer unter das Motto „Keine Zukunft ohne Herkunft“. Porsche betrachtet Herkunft nach eigener Aussage mehrdimensional. Das Unternehmen bezieht darin prägende soziale, kulturelle sowie gesellschaftliche Einflüsse mit ein und will sich zu Themen wie Identität, Respekt oder Kultursensibilität austauschen, andere Kultur erleben und von ihnen lernen. Für Porsche ist Corporate Heritage „das gelebte Selbstverständnis der Identität des gesamten Unternehmens“.
Welche Rolle spielt Corporate Heritage in Wandelvorhaben?
Die Identifikation der Beschäftigten mit ihrem Unternehmen auch und gerade in häufig ungeliebten Wandelvorhaben, ist ein wesentliches Erfolgskriterium. Wer hier als Führungskraft die Loyalität seines Teams oder der Belegschaftsmehrheit verliert, kann seine geplante Veränderung gleich abbrechen. Nicht zuletzt deshalb empfehlen wir von der Changeberatung viadoo immer das kollektive Gedächtnis und die Firmengeschichte in die zu konzipierende Change-Architektur zu integrieren. Dafür setzen wir narrative Methoden wie Storytelling ein. Damit können wir auch ermitteln, ob alle Beschäftigten einen früheren Change entlang der Change-Curve bereits vollständig emotional durchlebt haben. Und wie es um ihre Motivation und Moral bestellt ist, um daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Wie sah der jüngste Kulturwandel bei Porsche aus?
Schauen wir in diesem Zusammenhang noch einmal auf Porsche und Volkswagen sowie auf ihren Kulturwandel. Beide Unternehmen waren in der Vergangenheit stark hierarchisch, teilweise patriarchisch geprägt. Zur entsprechenden Firmenkultur gehörten Gehorsam und der unbeugsame Glaube an eine technische Allmacht. Frei nach dem Motto „Geht nicht gibt’s nicht!“, und ein „Nein“ wird nicht geduldet. In so einer Unternehmenskultur konnte der Dieselskandal reifen, von dem Porsche allerdings deutlich weniger betroffen war (einzig: Diesel-Cayenne) als Volkswagen.
Mit der „Strategie 2025“ läutete Porsche 2018 dann den Kulturwandel ein. Es entstand der neue „Porsche-Code“, der die Zukunftseigenschaften des Unternehmens definiert: Herzblut, Pioniergeist, Sportlichkeit, Eine Familie. Führungskräfte mussten lernen, starre Hierarchien aufzubrechen, in Netzwerken agil zusammen zu arbeiten, virtuelle Teams zu führen. Auch die Themen Digitalisierung und lebenslanges Lernen gehörten zur neuen Strategie. Speziell dafür hat Porsche eine Online-Lernplattform entwickelt. Leicht verständliche Lernvideos, Online-Workshops, Grundlagen- und Aufbauqualifizierungen ermöglichen es der Belegschaft, sich neues Wissen in individuellen Dosen anzueignen.
Die Corporate Heritage hat in dieser Zeit dazu beigetragen, dass sich die Beschäftigten trotz des durch den Dieselskandal verursachten Image-Schadens und trotz vieler Neuerungen in ihrem persönlichen Arbeitsumfeld weiter mit ihrem Unternehmen identifizierten und loyal blieben. Der Kulturwandel dauert noch an. Doch durch das Einbeziehen des ideellen Unternehmenserbes in die Konzeption des Wandels wird diese Transformation am Ende sicher gelingen. Genau das kann auch bei Startups und jungen Unternehmen funktionieren, die zum Beispiel aufgrund eines schnellen Wachstums ihre Prozesse und Strukturen im Rahmen von Change-Projekten anpassen müssen.
Das Titelbild zeigt einen Porsche 956 in der Draufsicht im Porsche-Museum Zuffenhausen. Der Vorgänger des legendären Neunelfer war das erste Serienmodell des Sportwagen-Herstellers und ist Teil der Porsche Corporate Heritage. © Faust / viadoo GmbH