30/11/2022 Dr. Dominik Faust

Der Newsroom The Bridge von Volkswagen

Lessons Learned aus einem prominenten Wandelvorhaben

Der Corporate Newsroom gilt seit Jahren als agile Form der Kollaboration und integrierten Kommunikation. Bei uns hat das Thema seit 2012 Tradition. Bis heute hat es nichts an seiner Attraktivität verloren. Das belegen über 100 Teilnehmende des ersten Corporate Newsroom Day in Hannover vergangene Woche. Klar ist aber auch: Jede Einführung eines Newsrooms stellt einen mehrdimensionalen Wandel dar, der professionell gesteuert werden sollte. Selbst bei der Volkswagen AG scheiterte dessen Einführung zunächst. Dann unternahmen Michael Manske, Niko Thorke und Naïs Graswald von der CEO-Kommunikation einen neuen Anlauf, wie sie vor Ort berichteten. Am 1. Dezember 2021 ging dann der Newsroom „The Bridge“ an den Start. Aus dieser Genese kann man einiges lernen.

1. Auf die Sprache im Change achten

Eine wichtige Rolle in der Steuerung von Wandelvorhaben spielen Begriffe. Diese Erfahrung machen wir immer wieder in Veränderungsprozessen. Denn Begriffe können von denjenigen, die eine Neuerung mitgehen sollen, positiv oder negativ besetzt sein. Das gilt es, im Vorfeld zu ermitteln. Ist eine negative Konnotation festgestellt, kann es helfen, Dinge anders zu benennen. Wo zum Beispiel der Begriff „Großraumbüro“ Aversionen auslöst, kann das alternative Wort „Teamfläche“ emotional weniger negativ besetzt sein.

Genauso sind die Verantwortlichen bei der Volkswagen AG vorgegangen. Dort war der Begriff „Newsroom“ aufgrund eines zuvor gescheiterten Change-Projekts gleichen Inhalts verbrannt. Statt dessen heißt jetzt der Newsroom „The Bridge“. Begründung: Mit dieser Einheit sollen kommunikative Brücken sowohl im und ins Unternehmen (Kommunikations- u. Fachabteilungen) als auch in die Öffentlichkeiten der weltweiten Märkte geschlagen werden.

2. Eine gemeinsame Vision zur emotionalen Motivation

Einen alternativen Begriff auszuwählen, genügt natürlich nicht, um negative Assoziationen, Vorbehalte oder gar Ängste und Reaktanzen zu überwinden. Dazu bedarf es auch eines gemeinsamen Verständnisses dessen, was mit einem bestimmten Wort gemeint sein soll. Deshalb ist es sinnvoll, im Team ein gemeinsames Verständnis des Begriffs „Corporate Newsroom“ zu erarbeiten. Darüber hinaus empfehlen wir stets die gemeinsame Entwicklung einer Vision.

Auch die Verständigung über gemeinsame Arbeitsgrundsätze kann helfen. Genau solche gab sich das 12-köpfige Team des Volkswagen Newsroom The Bridge. Im Kern bestehen diese darin, über den Corporate Newsroom nur solche Inhalte zu kommunizieren, die auf die Strategie „New Auto“ von Volkswagen einzahlen. Aber auch Regeln für das gedeihliche Miteinander sind in den fünf Grundsätzen enthalten. Solche Grundsätze tragen nach unserer Erfahrung wie Visionen zur sozialen und emotionalen Motivation in Wandelvorhaben bei.

Die gemeinsame Vision oder Grundsätze eines Corporate Newsrooms sollte unbedingt das Mindset einer offenen und von gegenseitigem Vertrauen geprägten Kollaboration enthalten. Denn für Silo-Denken und Silo-Handeln ist in einem solchen agilen Arbeitsumfeld kein Platz. Wenn diese Einstellung fehlt, ist jeder Newsroom zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn alle technischen Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Erfahrung hat zum Beispiel Christoph Hardt bei der Erzdiözese Köln gemacht, wie er in einem Interview mit Thomas Mickeleit berichtete.

3. Prozesse & Strukturen an eigenen Bedürfnissen ausrichten

Für einen Corporate Newsroom gibt es keine Lösung von der Stange. Die Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Kulturen sind in jeder Organisation anders. Dennoch existiert die weit verbreitete These, dass jeder Newsroom im Kern aus zwei strikt getrennten Gruppen zusammengesetzt sein muss. Auf der einen Seite sollen die Themen-Verantwortlichen Geschichten recherchieren, schreiben und anbieten. Auf der anderen Seite sind die Verantwortlichen für Medienkanäle. Sie kennen ihre jeweilige Community und sollen entscheiden, ob und welche Geschichten sie in welcher Form kommunizieren.

Doch die Realität weicht auch in diesem Punkt oft vom Lehrbuch ab. So hat diese strikte Trennung den Bedürfnissen der Volkswagen AG nicht entsprochen. Das Team der CEO-Kommunikation kümmert sich primär um Reden, Interviews, Social Media und Pressearbeit des CEO. Hinzu kommen Monitoring und Community-Management, Medienanalysen, Morning-Newsletter. Angesichts dieser komplexen Aufgaben entschied sich das Team des Newsroom The Bridge stattdessen für ein durchlässigeres System zwischen Themen und Kanälen.

  • Agenda-Setter bestimmen dort die Botschaften auf Basis der Strategie und verfassen Texte für die spezifischen Kanäle, deren Communities sie auch managen.
  • Image-Builder bereiten diese Botschaften zusammen mit den Agenda-Settern optisch mittels Videos, Fotos und Grafiken auf – unterstützt durch Agenturen.
  • Success-Manager generieren und liefern schließlich Daten und Media-Analysen. Daraus erstellt das gesamte Team Quartalsberichte über das Erreichen zuvor gesetzter KPIs.

Chef des Newsroom The Bridge ist übrigens der Head of CEO & Digital Communications der Volkswagen AG. Hinzu kommt ein Newsroom Manager / CvD. Dessen Rolle und sein Titel „Chef vom Dienst“ sind ebenfalls den Medien entlehnt. In einem Corporate Newsroom kann diese Funktion wochenweise oder in anderen (größeren) Rhythmen rollieren.

4. CommTech-Tool sorgfältig aussuchen

Ein Newsroom funktioniert nicht ohne vernetztes Denken und Handeln der Teammitglieder. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen für gescheiterte Corporate Newsrooms. Auf der technischen Seite gibt es ebenfalls ein unerlässliches Feature, ohne das ein Newsroom nicht funktionieren kann. Dabei handelt es sich um das CommTech-Tool.

Die einfachste Variante besteht aus einer Excel-Tabelle, auf die alle Team-Mitglieder zugreifen können. Selbst der Newsroom The Bridge startete mit einem solch einfachen Tool zur Planung seiner Themen und Maßnahmen. Und es funktionierte: In den ersten Monaten seines Bestehens schickte das Team um Chef Michael Manske vor allen Dingen Content von und mit CEO Herbert Diess aus dem Newsroom (allerdings nicht immer perfekt in Szene gesetzt).

Aufmerksame Beobachter erinnern sich zum Beispiel noch an dessen Ride mit dem von der Konzerntochter Audi entwickelten elektrischen Surfboard auf dem Mittellandkanal. Ausgerüstet mit einer Actioncam bedankte sich Diess während des Surfens bei den Mitarbeitenden für „ein sensationell gutes erstes Halbjahr“ 2021 und wünschte der Belegschaft einen schönen Werksurlaub.

Mittlerweile hat sich auch der Newsroom The Bridge für ein professionelles CommTech-Tool entschieden. Wichtig für den Erfolg dieses Projekts und vergleichbarer Wandelvorhaben ist, dass diejenigen bei der Auswahl der Software mitwirken, die sie später nutzen sollen. Wir haben dabei gute Erfahrungen mit Arbeitsgruppen aus Freiwilligen gemacht, die sich dieser Aufgabe widmen.

Die Newsroom-Idee stammt aus den USA

Die Idee des Newsrooms geht – wie so vieles in der Kommunikation – auf eine Idee aus den USA zurück. Im Jahre 1994 etablierten Verantwortliche der Zeitung Philadelphia Inquirer einen der ersten Newsrooms der Welt. Der US-Fotograf Will Steacy hat ihn zwischen 2009 und 2012 dokumentiert.

Nach der Jahrtausendwende schwappte dieses Konzept nach Europa und bestimmte fortan die Strukturen auch hiesiger moderner Medienhäuser. Die Kernelemente: Denken in Themen und funktionale Einteilung der Redakteure in Editoren und Reporter bzw. in inhalteorientierte Ressortexperten (Politik, Wirtschaft, Sport etc.) und kanalorientierte Medienprofis (Print, Audio, Video, Online/Social Media). Sie planen, produzieren und spielen seither 24/7 Content aus.

Wir im viadoo-Team haben in den vergangenen Jahrzehnten etlicher solcher Newsrooms vor Ort angesehen. Unter anderem kennen wir den News-Highway des ZDF und den AkZent des Bayerischen Rundfunks, die wir hier im Blog bereits vorgestellt haben. Außerdem haben wir einmal die Arbeit der BILD-Redaktion einen Tag lang dokumentiert und anschließend dem Deutschlandfunk darüber ein Interview gegeben.


Der Social Media Noowsroom kam zuerst

Bald erreichte das in den Medienhäusern entwickelte Newsroom-Konzept auch die Unternehmenswelt. Zunächst allerdings nur in Form so genannter Social-Media-Newsrooms. Dabei handelte es sich um eine Weiterentwicklung des klassischen Pressebereichs auf den Websites von Organisationen. Dort kamen zu den Pressemitteilungen und Downloads noch die Feeds einschlägiger Social-Media-Kanäle dieser Organisationen hinzu. Vorreiter hierfür waren auch wieder Firmen aus den USA wie Ford und General Motors. In Deutschland gehörte 2008 etwa Volvic zu den First Movern (mit maßgeblicher Unterstützung der Agentur Achtung! in Hamburg). Wir als Dienstleister haben Social Media Newsrooms ab 2010 auf WordPress-Basis für uns und unsere Kunden entwickelt.


Der Corporate Noowsroom hat viele Väter

Im Jahre 2011 etablierte schließlich die Siemens AG als einer der ersten großen Konzerne einen Corporate Newsroom. Maßgeblich beteiligt daran waren unter anderem Stefan Wagner und Christoph Hardt. Unser Gründer Dr. Dominik Faust konzipierte 2012 ebenfalls einen multimedialen Newsroom und stellte das Newsroom-Konzept auf dem Future Media Summit in Hamburg vor. Als Spiritus Rector vieler Corporate Newsrooms gilt außerdem Dr. Christoph Moss.

Der Corporate Newsroom lehnte sich in Struktur und Funktionsweise an sein Vorbild aus den Medienhäusern an. Das hatte einen guten Grund. Denn Unternehmen wollen zunächst über ansprechende Inhalte (Owned, Earned, Paid Content) die Aufmerksamkeit ihrer Anspruchsgruppen gewinnen. Über Interaktion wollen sie dann bestimmte Botschaften bei ihren Kunden platzieren und so den Absatz der eigenen Produkte und Dienstleistungen erhöhen. Außerdem wollen Firmen für Bewerber mittels Content attraktiver sein.


Auf dem Weg zum 24/7 Newsroom The Bridge

Das Beispiel der Volkswagen AG zeigt, dass selbst Großkonzerne mit der Einführung eines Corporate Newsrooms zunächst scheitern können. Andererseits dienen die bei VW gesammelten Erfahrungen anderen Organisationen als Vorbild. Das gilt auch für die Offenheit, mit der das Team um Michael Manske über das Veränderungsprojekt spricht. Eine Offenheit, die auch teamintern gepflegt wird und zum Erfolg des Newsroom The Bridge beiträgt.

Hinzu kommt, dass diese Lessons Learned nicht nur für die Einführung von Corporate Newsrooms gelten, sondern im Grunde für jedes Wandelvorhaben. Denn in jeder Transformation ist es entscheidend, in der Veränderungs-Kommunikation auf die Sprache zu achten, eine gemeinsame Vision samt Mindset zu entwickeln, Prozesse und Strukturen nach den eigenen Bedürfnissen auszurichten und Software-Tools sorgfältig auszuwählen.

Das Team von The Bridge will den Newsroom in Zukunft 24/7 und international betreiben. Ähnlich wie das große Medienhäuser wie das Handelsblatt seit längere Zeit tun. Wir von der Change Beratung viadoo wünschen dem Team der Volkswagen CEO-Kommunikation sowie allen anderen Betreibern von Corporate Newsrooms weiterhin viel Erfolg.

Wer sich für dieses Thema interessiert, mit dem teilen wir gerne unsere Erfahrungen mit der Konzeption und dem Change Management von Corporate Newsrooms.

Newsroom-Whitepaper

Weitere Details zur Genese des Corporate Newsrooms finden Sie im kostenlosen Whitepaper »Virtual Change Newsroom«. Darin geben wir Praxistipps zu agilen Strukturen und Prozessen eines virtuellen Newsrooms. Der Inhalt basiert auf einem Fachbeitrag des viadoo-Gründers Dr. Dominik Faust. Er hatte ihn im April 2021 im Magazin »changement!« der Handelsblatt Media Group GmbH veröffentlicht.

Whitepaper Virtual Change Newsroom

Foto: Naïs Graswald, Niko Thorke und Michael Manske (v.l.) auf dem Corporate Newsroom Day am 21.11.2022 in Hannover. © Faust / viadoo GmbH

, , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.