Unter den 14- bis 49-jährigen Zuschauern ist RTL Marktführer in Deutschland. Die Fernsehmacher aus Köln hatten im Januar 2013 in dieser werberelevanten Zielgruppe einen durchschnittlichen Marktanteil von 18 %. Allein im Vergleich zum Vormonat konnten sie vier Prozentpunkte zulegen. Ausschlaggebend dafür war insbesondere die siebte und mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 41,6 % unter den 14- bis 49-Jährigen erfolgreichste Staffel des Dschungelcamp (Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!). Hinter diesem Reichweiten-Erfolg steht exaktes Wissen über die Ziel- bzw. Anspruchsgruppen. Darüber müssen sich alle TV-Verantwortlichen permanent Gedanken machen, um nicht an den Ansprüchen ihrer Zuschauer vorbei zu produzieren – mit unter Umständen verheerenden wirtschaftlichen Folgen. Sie müssen Märkte segmentieren, Zielgruppen definieren und Reichweiten optimieren. Eine große Hilfe bilden dabei die Sinus-Milieus.
TV-Vorlieben in den zehn Sinus-Milieus
Die Heidelberger Psychologen und Sozialwissenschaftler des Sinus-Instituts unterstützen seit Jahrzehnten Medienhäuser, Zeitungshäuser, Agenturen, Hersteller von Markenartikeln und andere Unternehmen bzw. Organisationen mit Angeboten zur Markt- und Sozialforschung. Sie teilen die Mitglieder unserer Gesellschaft in Gruppen von Menschen ähnlicher Lebensauffassungen und Lebensweisen ein. Seit der jüngsten Neustrukturierung im Jahre 2010 gibt es aktuell zehn Sinus-Milieus. Sie unterscheiden sich zum Teil deutlich in der TV-Nutzung (*):
1. Konservativ-Etablierte schauen gerne Politmagazine
Das konservativ-etablierte Milieu umfasst das klassische Establishment (entspricht 10 % unserer Gesellschaft) und steht an der Spitze der vier sozial gehobenen Milieus. Diese Zielgruppe zeichnet sich durch eine ausgeprägte Verantwortungs- und Erfolgsethik aus, sie hat Exklusivitäts- und Führungsansprüche, pflegt ihr Standesbewusstsein sowie eine “Entre-nous-Abgrenzung”. Die Menschen sind überdurchschnittlich interessiert an Nachrichtensendungen und Politmagazinen. Insgesamt verbringen sie 39 % ihrer Medienzeit vor dem Fernseher und nur 19 % im Internet.
2. Liberal-Intellektuelle wollen es genau wissen
Unter dem liberal-intellektuellen Milieu (entspricht 7 % unserer Gesellschaft) wird die aufgeklärte Bildungselite subsumiert. Diese Zielgruppe verfügt über eine liberale Grundhaltung und postmaterielle Wurzeln. Sie ist geprägt von dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben und verfolgt vielfältige intellektuelle Interessen. Liberal-Intellektuelle verbringen 37 % ihrer Medienzeit vor dem Fernseher (18 % im Internet) und interessieren sich überdurchschnittlich für Wissenschaftssendungen.
3. Performer schalten gerne das Web und das Dschungelcamp an
Die multi-optionale und Effizienz-orientierte Leistungselite unserer Gesellschaft (7 %) bezeichnet das Sinus-Institut als die Performer. Diese Zielgruppe zeichnet sich aus durch global-ökonomisches Denken und hohe IT- und Multimedia-Kompetenz. Kein Wunder, dass diese Nutzer 24 % ihrer Medienzeit im Internet verbringt und 36 % vor dem Fernseher. Sie schauen überdurchschnittlich häufig unterhaltende Filme, Krimis und Wissenschaftssendungen. Im Bereich Unterhaltung schalten die Performer gerne ins Dschungelcamp.
4. Expeditive nutzen TV und Web gleichermaßen
Das expeditive Milieu ist die ambitionierte kreative Avantgarde (6 % unserer Gesellschaft) und das letzte der vier sozial gehobenen Milieus. Diese Zielgruppe ist mental und geografisch mobil, online und offline vernetzt sowie ständig auf der Suche nach neuen Grenzen und neuen Lösungen. Die Expeditiven schauen überdurchschnittlich viele Filme und Krimis sowie das Dschungelcamp. Sie nutzen das Fernsehen (29 %) und das Internet (28 %) fast in gleichem Umfang. Diese Nutzer sind daher gleichsam die Treiber der zeitunabhängigen, synchronen und mobilen Mediennutzung, die Medienhäuser 2.0 vor große Herausforderungen stellen. Gemeinsam mit den Performern veranlassen die Expeditiven zukunftsorientierte Medienverantwortliche, trimediale Antworten auf geänderte Mediennutzung zu finden. Von den fast 22 Millionen Web-Zugriffen auf das Dschungelcamp in der siebten Staffel – nicht zuletzt über das Second-Screen-Angebot RTL Inside – dürften viele aus diesem Milieu gekommen sein.
5. Bürgerliche Mitte schaut viel TV und wenig Web
Die bürgerliche Mitte (14 % der Gesellschaft) führt die Liste der drei Milieus der Mitte an. Diese Zielgruppe ist leistungs- und anpassungsbereit, bejaht generell die gesellschaftliche Ordnung und strebt nach beruflicher und sozialer Etablierung sowie nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen. An Nachrichten, Filmen, Wissenschaftssendungen, Krimis und Politmagazinen sind diese Nutzer nur durchschnittlich bis unterdurchschnittlich interessiert. Dennoch verbringen sie 50 % ihrer Medienzeit vor dem Fernseher. Sie schauen Sendungen wie Aktenzeichen XY, Rach, der Restaurant-Tester, das Dschungelcamp sowie Regionalprogramme. Fürs Internet investieren sie nur 9 % ihrer Medienzeit.
6. Adaptiv-Pragmatische stehen auf unterhaltsame Filme
Die moderne junge Mitte unserer Gesellschaft ist das adaptiv-pragmatische Milieu (9 % der Gesellschaft). Diese Zielgruppe zeichnet sich durch ausgeprägten Lebenspragmatismus und durch Nutzenkalkül aus. Die Menschen sind zielstrebig und kompromissbereit, hedonistisch und konventionell, flexibel und sicherheitsorientiert. Außerdem haben sie ein starkes Bedürfnis nach Verankerung und Zugehörigkeit. Ihre TV-Nutzung ist mit einem Anteil von 44 % an ihrer Medienzeit relativ hoch. Dabei liegt ihr deutlich überdurchschnittliches Interesse auf unterhaltsamen Filmen. Darüber hinaus tragen sie einen wichtigen Beitrag zur hohen Quote von Sendungen wie dem Dschungelcamp bei. Im Internet verbringen sie immerhin 21 % ihrer Medienzeit und bewegen sich damit in der Nähe der Performer und des expeditiven Milieus.
7. Sozialökologische ähneln zwei sozial gehobenen Milieus
Das sozialökologische Milieu (7 % der Gesellschaft) gilt als Konsum-kritisch mit normativen Vorstellungen vom richtigen Leben. Diese Zielgruppe hat ein ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen, ist Globalisierungs-skeptisch und Bannerträger von Political Correctness und Diversity (Vielfalt). Im Bereich der TV-Nutzung ähneln diese Nutzer denen der konservativ-etablierten und der liberal-intellektuellen Milieus: Sie nutzen 34 % ihrer Medienzeit fürs Fernsehen und schauen überdurchschnittlich gerne Nachrichten, Wissenssendungen und Politmagazine. Im Web verbringen sie 18 % ihrer Medienzeit.
8. Traditionelle schauen “Wer wird Millionär?” und “Aktenzeichen XY”
Das traditionelle Milieu zählt neben der hedonistischen Unterschicht zu den größten der zehn Sinus-Milieus (beide 15 % der Gesellschaft). Diese Zielgruppe besteht aus der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, die Sicherheit und Ordnung liebt. Die Nutzer sind verhaftet in der alten kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur. Sie zeichnen sich ferner aus durch Sparsamkeit, Konformismus und Anpassung an die Notwendigkeiten. Bei dieser Zielgruppe ist der Internetkonsum mit 8 % der Medienzeit am geringsten, während der TV-Konsum mit 49 % fast so hoch ist wie der der bürgerlichen Mitte. Deutlich überdurchschnittlich schauen sie Nachrichten und Polit-Talk. Im Genre Unterhaltung sehen Menschen des traditionellen Milieus Sendungen wie Wer wird Millionär? und Aktenzeichen XY.
9. Prekäre schauen viel fern und nutzen selten das Web
Das prekäre Milieu (9 % der Gesellschaft) ist gemäß Sinus-Institut “die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht mit starken Zukunftsängsten und Ressentiments”. In dieser Zielgruppe häufen sich soziale Benachteiligungen, geringe Aufstiegsperspektiven und eine reaktive Grundhaltung. Prekäre sind bemüht, Anschluss an die Konsumstandards der breiten Mitte zu halten. Das Internet nutzen sie sehr selten (9 % der Medienzeit), während der TV-Konsum bei 46 % liegt. Ähnlich wie die bürgerliche Mitte sind sie an Nachrichten, Filmen, Wissenschaftssendungen, Krimis und Politmagazinen nur durchschnittlich bis unterdurchschnittlich interessiert.
10. Hedonisten haben Spaß an guten Filmen und am “Dschungelcamp”
Das hedonistische Milieu ist die Spaß- und Erlebnis-orientierte moderne Unterschicht unserer Gesellschaft (15 %). Diese Zielgruppe lebt im Hier und Jetzt, verweigert Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft. Interessanterweise ist das Verhältnis von TV- (41 %) und Internetnutzung (17 %) fast identisch mit dem des liberal-intellektuellen Milieus. Überdurchschnittlich hohes Interesse besteht an unterhaltsamen Filmen und an Sendungen wie dem Dschungelcamp.
Fazit und Ausblick
Die Sendung Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! ist deshalb ein großer Erfolg, weil sie von vielen Zuschauern (durchschnittlich 7,34 Mio. in der siebten Staffel) in mehreren Sinus-Milieus gesehen wird. In der gesellschaftlichen Oberschicht gehören Angehörige des Performer-Milieus und des expeditiven Milieus dazu. Ferner tragen Zuschauer der bürgerlichen Mitte und des adaptiv-pragmatischen Milieus zum Erfolg des Dschungelcamps bei. Schließlich finden sich viele Zuschauer in der gesellschaftlichen Unterschicht, dem hedonistischen Milieu.
Auch wenn die Sinus-Milieus eine Hilfe sind, um das eigene Programm auf definierte Zielgruppen abstimmen zu können, so bilden sie doch nicht die komplexe Realität ab. In Wahrheit sind die Grenzen fließend. Und: Mediennutzer wollen immer seltener in Schubladen gesteckt werden. Sie wollen statt dessen als Individuen mit speziellen Informations- und Unterhaltungsbedürfnissen wahr- und ernstgenommen werden. Darauf müssen Medienhäuser eingehen, vor allem mit den Möglichkeiten der sozialen Medien, die mit TV-Formaten verknüpft werden können (Second Screen). Das gilt insbesondere für jene Zuschauer, die Medien non-linear, synchron und mobil nutzen.
(*) Die Angaben über die TV-Nutzungen stammen primär von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die Dr. Walter Klingler, Leiter Medienforschung des SWR, aufbereitet und am 25. Januar 2013 in München präsentierte.
Fotomontage: Faust (Logo: RTL, Bildschirm: Samsung) © DFKOM GmbH
Update vom 16.09.2014:
Dschungelcamp-Blogpost landet in Schulbuch über Politik
Der obige Beitrag unseres Autors wurde jetzt in das neue Schulbuch “Politik im Fokus” des Paderborner Verlags Ferdinand Schöningh aufgenommen. Das völlig neu konzipierte Werk für den Politik- und Gemeinschaftskunde-Unterricht der gymnasialen Oberstufe greift die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Themen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf. Nach Angaben des Verlages beginnt jedes Großkapitel mit einer Auftakt-Doppelseite, “die durch Bild- und Textimpulse die wesentlichen Inhalte des Kapitels umreißt und eine erste gedankliche Auseinandersetzung mit der Thematik anregt”. Das rund 650 Seiten starke Buch ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern der 11. bis 13. Jahrgangsstufe, sich umfassend auf Prüfungen bis hin zum Abitur vorzubereiten. Dazu erklärt der Autor:
»Dass Auszüge aus meinem Blogpost über die TV-Vorlieben der Deutschen in den zehn Sinus-Milieus Eingang in das Schulbuch “Politik im Fokus” gefunden haben, freut mich sehr. Vielleicht kann der Text einen kleinen Beitrag dazu leisten, die Sozialstrukturen unserer Gesellschaft für die jungen Leute nachvollziehbar zu machen, sowie Interesse am Geschehen hinter den Kulissen der Medien zu wecken, die sich derzeit in einem spannenden Veränderungsprozess befinden.«
Die Vorauflage des Buches wird derzeit von den Kultusministerien verschiedener Bundesländer geprüft, ist aber bereits im Handel erhältlich.