11/11/2021 Dr. Dominik Faust

Handelsblatt Auto-Gipfel Recap

Kulturwandel durch Akquisition oder Provokation + Vier CEOs im Videovergleich

Der Handelsblatt Auto-Gipfel beleuchtet traditionell technische, ökonomische und politische Aspekte der Automotive-Branche. Wie der Name schon sagt, steht das Auto im Mittelpunkt des Interesses. Weitergehend wäre zwar der Begriff Mobilität der Zukunft, weil Autos fliegen und Flugzeuge fahren lernen. Doch auch ohne diese zusätzliche Komplexität ist in der Branche alles im Umbruch. Uns interessierten beim diesjährigen Handelsblatt Auto-Gipfel (9. bis 11. November) vor allen Dingen soziale und emotionale Aspekte von Wandelvorhaben. Bei einem Zulieferer und bei einem Hersteller wurden wir fündig. Weil Veränderung nur durch gute Kommunikation gelingt, haben wir uns außerdem die Kamera-Auftritte von vier CEOs angesehen. Mit verblüffenden Ergebnissen.

„Aggressive Innovatoren aus dem Silicon Valley rütteln an etablierten Geschäftsmodellen und Technologiekonzepten, stellen sogar unser Mobilitätsverhalten insgesamt in Frage.“ Mit diesen Worten lud der damalige Herausgeber des Handelsblatt, Gabor Steingart, im Jahre 2016 zum 23. Handelsblatt Auto-Gipfel nach München. Fünf Jahre später sind mit der Elektrifizierung, der Softwarekompetenz oder dem Chip-Mangel weitere Herausforderungen hinzu gekommen. Die Automobilindustrie befindet sich also weiter mitten in der nicht mehr endenden Transformation.

Kulturfrage: Wie hältst du’s mit der Innovation?

Hersteller und Zulieferer gehen allerdings unterschiedlich heran an die sich daraus ergebenden notwendigen Veränderungsvorhaben. Diese Diversität der Methodik ist nachvollziehbar. Denn jedes Unternehmen hat eine andere Kultur. Das heißt, in jedem Unternehmen gibt es andere Gewohnheiten der Beschäftigten.

Etwa bei der Herangehensweise an Innovationen oder bei der Orientierung an Kundenbedürfnissen. So begnügen sich die einen zum Beispiel damit, ihr bestehendes Geschäftsmodell ständig zu optimieren bzw. bis an seine Grenzen auszuschöpfen (= Exploit-Projekte). Während andere nach komplett neuen Ideen schürfen und sie entwickeln (= Exlpore-Initiativen). Alle Firmen eint, dass sie Trends wie deutlich schnellere Entwicklungszeiten und kürzere Time-to-Market zu einem Kulturwandel zwingt. Doch wie kann der gelingen?

ZF Group will Kultur durch Startups und Zukäufe wandeln

Auf dieses Thema sprach Kirsten Ludowig, die stellvertretende Chefredakteurin des Handelsblatts, den Vorstandsvorsitzenden der ZF Friedrichshafen AG, Wolf-Henning Scheider, an. Der Tier-1-Supplier befindet sich wie andere Automobilzulieferer in einem harten Change-Prozess. Ein Kulturwandel in der ZF Group erfolge laut Scheider insbesondere auf zweierlei Weise: Zum einen durch interne Startups, die agile Methoden und interdisziplinäre Teams einbrächten. Zum zweiten durch Beschäftigte zugekaufter Unternehmen mit ihren jeweiligen Kulturen. Gemeint waren hiermit unter anderem die beiden US-Firmen TRW Automotive und WABCO.

Letztere hat ZF mittlerweile als Commercial Vehicle Solutions Division in den Konzern integriert. Als Teil der Post-Merger-Integration (PMI) startete die neue Mutter im Juni 2020 eine Willkommens-Aktion in den Sozialen Medien. Beschäftigte von ZF begrüßten die neuen Kolleginnen und Kollegen von WABCO. Dazu nutzten sie die Hashtags #becomingone #welcometoZF und #CommercialVehicleSystemsPowerhouse.

Handelsblatt Auto-Gipfel

Foto: © ZF Group (WABCO Facebook-Page, 04.06.2020)

Wann kann Wandel durch Integration gelingen?

Es bleibt natürlich die Frage, ob und ggf. wie der angestrebte Kulturwandel bei ZF tatsächlich durch die Integration anderer Kulturen gelingen kann. Doch für solche vertiefende Fragestellungen blieb auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel kein Raum. Sicher verfügt der Veranstalter dafür noch über alternative Formate.

Herbert Diess will Kultur mittels Provokation wandeln

Das führt uns zu einem OEM mit ganz besonderen Merkmalen: Die Volkswagen AG. Auch sie befindet sich mitten in der Transformation. Für jeden der Standorte gibt es ein Programm mit Wandelvorhaben. Wie notwendig das zum Teil ist, zeigt ein Blick auf das Stammwerk in Wolfsburg. Ihm werden immer wieder die Existenz von Silo-Denken, Silo-Strukturen und der Einfluss großer Beharrungskräfte nachgesagt.

Objektiv gibt es einen historisch gewachsenen Einfluss der Politik. Denn das Land Niedersachsen hält als Gesellschafter 20 Prozent der Anteile. Ermöglicht hat dies das VW-Gesetz von 1960. Daraus abgeleitet ergibt sich zudem „eine für börsennotierte Konzerne einmalige Gestaltungsmacht“ des Betriebsrates. Mit einer langen Tradition, wie das Handelsblatt 2019 dokumentierte.

Um unter diesen Rahmenbedingungen einen aus seiner Sicht dringend gebotenen Kulturwandel herbeizuführen (u.a. für die Realisierung des „Trinity“-Projekts in Wolfsburg), setzt der aktuelle CEO Herbert Diess gezielt das Mittel der Provokation ein:

„Strukturen müssen aufgebrochen und Diskussionen geführt werden“, sagte er am Mittwoch auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel im Interview mit Chefredakteur Sebastian Matthes. „Das Unternehmen in Frieden zu lassen, wäre gefährlich für alle“, so Diess weiter. Und natürlich weiß er, dass „Konflikte auch inszeniert werden“, wie er sagte. Das bezog er zwar auf andere, gilt aber gleichermaßen für ihn selbst.

Handelsblatt Auto-Gipfel

Volkswagen-CEO Herbert Diess im Interview mit dem Chefredakteur des Handelsblatt, Sebastian Matthes, auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel 2021. Screenshot: Faust / viadoo GmbH

Kann Transformation durch Provokation überhaupt gelingen?

Dinge bewusst eskalieren zu lassen, ist ein probates Mittel. So findet es gelegentlich im Projektmanagement Anwendung, um ein ins Stocken geratenes Projekt wieder flott zu bekommen. Genau in diesem Sinne nutzt der VW-Chef dieses Mittel. Herbert Diess tut es jedoch nicht (nur) aus einer ihm nachgesagten Freude am Konflikt.

Vielmehr hat er eine klare Vision von der Zukunft des OEM und folgt ihr zielstrebig. Ob er und seine Berater die Kräfte und die Macht aller Stakeholder dieses besonderen Unternehmens zu jeder Zeit auf dem Schirm haben, um sie für seine Vision gewinnen zu können, darf nach den jüngsten internen Auseinandersetzungen etwas bezweifelt werden.

Offen bleibt auch, ob Transformation durch Provokation überhaupt gelingen kann. Wobei man der Sache nicht gerecht würde, wenn man Diess allein auf dieses Mittel reduzierte. Die Palette seiner Methoden ist deutlich größer. Manche liegen ihm nur mehr als andere. Entscheidend wird sein, ob es ihm gelingt, eine unüberbrückbare Vertrauenskrise zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und Betriebsrat zu vermeiden.

Die Macht der Bilder in der Kommunikation

Zum Abschluss noch dies: Alle CEOs der großen Automotive-Unternehmen haben mittlerweile verinnerlicht, dass der Erfolg von Transformation mit der richtigen Kommunikation steht und fällt. Dazu gehört auch ihr Erscheinungsbild auf Bildschirmen. Das bedarf bei allem Zeitdruck stets einer gewissen Vorbereitung und Abstimmung. Leider waren nicht alle CEOs auf dem Handelsblatt Auto-Gipfel von ihren Teams ins entsprechend rechte Licht gerückt bzw. positioniert worden.

Wir haben einmal die Kamera-Auftritt von vier CEOs verglichen und mit einer Kurzbewertung aus externer Perspektive versehen:

Wolf-Henning Scheider, ZF

Der CEO der ZF Friedrichshafen AG, Wolf-Henning Scheider, wurde leider deutlich zu tief platziert. Im Grunde genommen tauchte er nur in der unteren Hälfte des Bildes auf. Die Kamera stand also nicht nur zu hoch, sondern auch noch zu weit weg. Der Chef von rund 135.000 Beschäftigten wirkte dadurch klein und verloren im blau-dominanten ZF-Setting – samt im Verhältnis überdimensioniertem Logo. Zu allem Überfluss wanderten im Laufe des Gesprächs auch noch breite Sonnenstrahlen über Scheiders Gesicht und Oberkörper.

Nikolai Setzer, Continental

Für den CEO der Continental AG, Nikolai Setzer, hatte sein Team ein Setting aus Rollup, diversen Marketing-Artikeln  und einer Büropflanze ausgewählt. Deren Anordnung ergab eine diagonale Teilung des Bildes mit klarem Schwerpunkt nach rechts. Auch bei Setzer war die Kamera suboptimal positioniert. Weniger Deckenverkleidung am oberen, dafür mehr Oberkörper am unteren Bildrand wäre künftig besser. Setzer wirkte im Interview sehr sympathisch und natürlich. Das hätte er ganz sicher auch ohne Hintergrund-Grünzeug auf Kopfhöhe getan.

Herbert Diess, Volkswagen

Das Team des CEO der Volkswagen AG, Herbert Diess, platzierte diesen in das zweifellos nüchternste Setting aller CEOs. Er stand vor einer kahlen und blassen Wand, von der sich nur eine kleine Leuchte abhob. Seine Clips in den sozialen Medien sind im Vergleich dazu deutlich attraktiver. Ob die Kammer-Atmosphäre eine neue Bescheidenheit oder Schnörkellosigkeit symbolisieren sollte, ist nicht überliefert. Inhaltlich machte Diess jedenfalls in diesem Setting mit klaren Botschaften zu seiner Person aufmerksam.

Ola Källenius, Daimler

Den CEO der Daimler AG, Ola Källenius, haben seine Leute nahezu optimal ins Bild gesetzt. Sein Kopf und der Großteil seines Oberkörpers füllten die Bildhöhe zu rund 90 Prozent. Auf diese Weise wirkte er visuell genauso souverän wie er inhaltlich auftrat. Das Logo trat zu Gunsten des CEO in den dezenten Hintergrund, der sich zudem hinter ihm optisch weitete und auf diese Weise entspannend auf die Zuschauenden wirkte. Sie konnten sich ganz auf die Botschaften des CEOs konzentrieren, der auch visuell absolut im Fokus stand.

Disclaimer: Der Autor ist Digital-Abonnent des Handelsblattes und nahm Ende Oktober erfolgreich an der Verlosung eines Gasttickets der Redaktion für den Handelsblatt Auto-Gipfel 2021 teil. 

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Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.