04/03/2016 Dr. Dominik Faust

Internet World: Wo Medien noch lernen können

Auf der Internet World 2016 war die Personalisierung wieder ein Top-Thema. Für Marken ist es schon lange relevant, insbesondere in der Industrie 4.0. Aber ist Personalisierung und die damit verbundene Losgröße 1 ein Thema für Medien, die eigentlich Massen adressieren? Bei der Antwort muss man differenzieren: Zeitungsverlage, Publikumszeitschriften, aber auch Hörfunk- und Fernsehanstalten wollen mit ihren Angeboten ganz sicher ein breites Publikum erreichen. Fachmagazine und andere Spartenanbieter grenzen ihre Zielgruppen dagegen deutlicher ab. Allerdings stimmt auch das nur bedingt. Denn Dank der Digitalisierung können sogar journalistische Massenangebote personalisiert werden. Leider klappt das bezogen auf den Rezipientenmarkt noch nicht so gut wie sonst im eCommerce. Diesbezüglich können Medien noch von Marken lernen. Das hat nicht zuletzt die eCommerce-Messe Internet World in dieser Woche gezeigt.

Personalisierte Angebote im eCommerce

So ist es im Onlinehandel üblich, Daten über Nutzer zu sammeln und ihnen mit Hilfe der Ergebnisse von Big-Data- bzw. Smart-Data-Mining individuelle Angebote zu erstellen. Man kennt das vor allem von Amazon. Auf der Internet World waren entsprechend viele Anbieter von Software-Tools vertreten.

Im eCommerce werden mit Hilfe von Data-Mining auf Desktops, Smartphones und Tablets häufig folgende Angebote generiert:

  1. Nutzer bekommen Produkte angezeigt, für die sie sich vorher in Web-Shops oder Suchmaschinen interessiert haben (via dynamischem Re-Targeting in Echtzeit platzierte Produktwerbung).
  2. Nutzer bekommen Produkte in Web-Shops oder sozialen Netzwerken empfohlen, die ihren Interessen entsprechen (via Recommendation Engine platzierte Produktwerbung).
  3. Nutzer, die sich online registrieren, können Vorteile genießen wie etwa das Sammeln von Bonus-Punkten bei Bestellungen (via Login-Incentives).
  4. Nutzer bekommen Angebote in stationären Läden in ihrer Nähe angezeigt (via IP-Adressen, GPS und Location-Based-Services).
  5. Nutzer erhalten personalisierte Drucksachen wie zum Beispiel Kassenbelege mit Coupons für den Web-Shop oder Zeitschriften (via Database Publishing).
  6. Nutzer erhalten auf ihre Interessen zugeschnittene Print-Werbung (via Paketbeileger).
  7. Nutzer können ihren Interessen entsprechende Newsletter abonnieren.

Es geht darum, gesammelte Daten einzelnen Kunden zuzuordnen, Mehrwerte am Point of Sale zu schaffen, wie es zum Beispiel Markus Eichinger, Head of Mobile Services von Wirecard Technologies auf der Internet World 2016 formulierte. Ziel all dieser und anderer Maßnahmen von Unternehmen ist es, weitere Verkäufe bzw. Umsätze durch entsprechende Konversionen zu realisieren.

Personalisierte Content-Angebote von Medien

Und wie machen es die Medien? Bekommen Rezipienten auf Medien-Websites vergleichbare Offerten wie im eCommerce? Folgende personalisierte Content-Angebote sind in den Medien gängig:

  1. Nutzer können sich ein redaktionelles Spektrum an Themen zusammenstellen, über das sie zum Beispiel via App oder Newsletter regelmäßig informiert werden wollen (via vorgegebener Schlagworte bzw. Tags in Ontologien).
  2. Nutzer können die Startseiten von Medienangeboten individuell zusammenstellen (via den von ihnen gewählten Tags, vgl. 1.).
  3. Nutzer erhalten auf ihre Region zugeschnittene redaktionelle Inhalte angezeigt (via Ermittlung und temporärer Speicherung der IP-Adressen auf den Servern der Anbieter).
  4. Nutzer, die Angebote einer Metered-Modell-Paywall nutzen, werden nach Erreichen der monatlich kostenfrei zu lesenden Artikel gesperrt (via Modul zur Messung der Seiten- bzw. Inhalteabrufe und Cookie).
  5. Nutzer bekommen Anzeigen von Drittanbietern angezeigt, die zu den zuvor aufgerufenen Inhalten passen (via Cookies).
Beispiel einer Personalisierung in Form der App WeLT NEWS der Axel Springer SE. Screenshots: WeLT

Beispiel einer Personalisierung in Form der App WeLT NEWS der Axel Springer SE. Screenshots: WeLT

Optimierungsbedarf bei „Meine News & Co.“

Die Personalisierung von Content-Angeboten in den Medien durch das Auswählen entsprechender Themen, Orte, Autoren ist im Grunde eine gute Sache. Aus unserer Beraterpraxis wissen wir aber, dass der Erfolg dieser Systeme wesentlich davon abhängt, dass die Autoren relevante Schlagworte in die Ontologien im Backend eintragen. Da sie nicht immer die Bedürfnisse ihrer Leser kennen können, erscheint es empfehlenswert, dass auch Nutzer Schlagworte zumindest vorschlagen können. Auf diese Weise würden die Online-Verantwortlichen sehen, nach was tatsächlich gesucht wird und könnten den Content entsprechend effektiver tagen lassen. Optimal wäre es ferner, wenn man in diesen Systemen Schlagworte mittels Boolescher Operatoren verknüpfen könnte, um die individuellen Themen sinnvoll einschränken zu können. Andernfalls kann eine individuelle Treffer- oder Themenliste schon mal umfangreicher ausfallen als eine reguläre Zeitungsausgabe. Vielleicht sollte man auch bei den Medien durch entsprechende Anstrengungen im Smart-Data-Mining die „Vermenschlichung der Maschine“ ausbauen, wie es Torsten Hubert, Mitglied der Geschäftsleitung von Web Arts, auf der Internet World 2016 nannte.

Auch Autoren als Marken empfehlen

Aus Blogs kennt man seit ein paar Jahren die Funktion „Das könnte Sie auch interessieren“. Posts mit gleichen Schlagworten werden in Artikeln inklusive Thumbnails angerissen und verlinkt. Auch auf Medien-Seiten gibt es diese Funktion. Was allerdings noch kaum existiert, sind explizite Empfehlungen von Artikeln oder Sendungen einzelner Journalisten, deren Beiträge ein Nutzer besonders häufig ansieht oder die er als Favoriten ausgewählt hat. Zwar kann man sich standardmäßig alle Beiträge eines Autors anzeigen lassen. Aber die Funktion „Diese Beiträge dieses Journalisten könnten Sie auch interessieren“ fehlt bislang. Dabei gibt es einen Trend dahin, dass Journalisten zu Marken bzw. Submarken von Medienmarken werden. Denn Nutzer gefallen die Texte oder Sendungen eines bestimmten Journalisten – egal für welches Medium er arbeitet. Richard Gutjahr ist ein herausragendes Beispiel dafür. Diesen Trend zu Autorenmarken könnten Medienmarken noch viel stärker für sich nutzen, wie wir aus unserer Beraterpraxis wissen.

Bei Werbung klappt es doch auch

Medien sind bekanntlich B2C- und B2B-Unternehmen in einem. Ihr Inhalt richtet sich an Rezipienten, ihr Inventar an Werbetreibende. Bei der Personalisierung der Inhalte gibt es durchaus noch Luft nach oben. In Sachen Werbung bröckeln zwar die tradierten Geschäftsmodelle der Onlinewerbung, aber es gibt gute Ansätze für die Personalisierung von Werbung in den Medien. So ist es etwa technisch längst möglich, TV-Werbung nicht mehr über alle Zuschauer hinweg auszugießen, sondern bestimmte Spots nur bestimmten Zuschauergruppen zu zeigen (via IPTV). Nämlich jenen, die für diese Spots empfänglich sind, weil sie sich für das angepriesene Produkt zuvor im Web interessierten. Ermitteln lassen sich die Interessen zum Beispiel mittels der eingangs erwähnten, aus dem eCommerce bekannten Methoden.

Parallelen zu diesen so genannten Adressable Ads im Fernsehen hat auch die jüngste Bewegtbild-Werbung von Lexus. Der Automobilhersteller hat für den Launch seines neuen NX-Modells 1.000 Versionen eines Werbeclips für Facebook produziert. Sein Ziel: Für möglichst viele Nutzer mit unterschiedlichen Interessen die passende, die personalisierte Ad-Version einspielen. Um in die Markentreue ihrer Nutzer zu investieren, werden wohl auch Medien über kurz oder lang nicht an vergleichbaren Investitionen vorbei kommen. Übrigens: Auch bei Printmedien gibt es gute Möglichkeiten, Werbung etwa via Database Publishing bis zur Losgröße 1 hinuter zu personalisieren.

Internet World 2017

Die nächste Internet World findet vom 7. bis 8. März 2017 statt. Wir sind gespannt, wie sich die Personalisierung der Medien bis dahin weiter entwickelt. Auch das Payment spielt bei diesem Thema eine wichtige Rolle. Denn noch immer ist die Rechnung das bevorzugte Zahlungsmittel in Deutschland, was von ausländischen Anbietern im deutschen Markt gelegentlich unterschätzt wird. Dahinter steckt das Prinzip „Erst die Ware, dann das Geld“, wie es Dr. Nelson Holzner, CEO von BillPay, auf der Internet World erklärte. Wer diese Payment-Option anbietet, erhöht die Abschlusswahrscheinlichkeit um ein Vielfaches und füllt die größten Warenkörbe (im Durchschnitt). Für Medien, insbesondere für kleinteilige personalisierte Angebote (Kauf einzelner Artikel etwa über Blendle), ist der Rechnungskauf nicht ganz oben auf der Agenda. Sie wären schon froh, wenn Print- und Onlinemedien umsatzsteuerlich gleichbehandelt würden, um etwa das Fakturieren von Bundles zu vereinfachen. Vielleicht haben die EU-Kommission und der Europäische Rat dieses Problem bis März 2017 gelöst.

Titelbild: Dominik Faust / viadoo GmbH

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Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.