Es ist üblich, dass Journalisten Themen aus anderen Medien aufgreifen und eigene Geschichten daraus generieren. Selbst, dass sie voneinander abschreiben, ist ein oft bestätigtes Vorurteil. Journalistische Ehre hin oder her. Im digitalen Medienzeitalter hat diese Praxis, hat die „digitalen Hehlerei“ aber handfeste ökonomische Auswirkungen. Denn im Netz können Medienhäuser nur noch dann mit journalistischem Content Erträge erzielen, wenn es sich um Meinungen, Serviceangebote, (hyper-) lokale Themen und exklusive Stories handelt, die via Paywall verkauft werden. Doch selbst diese Erlös-Nische bricht weg, wenn Medienvertreter untereinander wildern. Jüngstes Beispiel heute: Focus Online übernimmt eine kostenpflichtige Geschichte von BILD plus über die WhatsApp-Pannen auf ihr kostenloses Portal. Die Folge: die Klicks bei Tomorrow Focus steigen, die Klicks bei Springer sinken.
Das Besondere an der BILD-Story waren Aussagen eines angeblichen WhatsApp-Insiders. Eine exklusive Quelle also, für die die Axel Springer SE mindestens ein Honorar zahlen musste. Und die Tomorrow Focus Publishing GmbH? Kein Vergleich! Einfach die Kernaussagen übernehmen, leicht umformulieren und auf Focus online stellen. Fertig!
Julian Reichelt: „Digitale Hehlerei“
Kein Wunder, dass sich der Zorn der Springer-Manager gegen den Chefredakteur von Focus online, Daniel Steil, richtete. So twitterte zum Beispiel Marion Horn, Chefredakteurin von BILDamSONNTAG, wütend: „Daniel, shame on you!!! Soll ich Themen @BILDamSonntag nachher schon mal mailen?“ Julian Reichelt, Chefredakteur von BILD.de nannte das auf Twitter sogar digitale Hehlerei: „Original gibts bei @BILD, recherchiert von einem echten Journalisten. Die Hehler-Version bei @SteilD und @Focusonline„. In einem aktuellen Interview mit dem Branchendienst turi2 verballhornte Reichelt den alten FOCUS-Claim so: „Klauen, klauen, klauen und immer an die Reichweite denken.“
Genau das ist das Problem. Es darf auch im Zeitalter der digitalen Medien sein, dass sich Journalisten Anregungen bei Mitbewerbern holen. Dass sie dabei offensichtlich über das Zitierrecht hinaus gehend, mit vergleichsweise hohen Aufwendungen erzeugten Content hinter einer Bezahlschranke hervorholen und auf dem eigenen Portal vermarkten, ist nicht nur unredlich. Diese „digitale Hehlerei“ trägt dazu bei, ein Geschäftsmodell für den Journalismus der Zukunft mutwillig zu zerstören. Und sich mit solchen digitalen Raubzügen am Ende ins eigene Knie zu schießen. Vielleicht sollte Springer-Chef Mathias Döpfner mal wieder einen Brief schreiben. Diesmal nicht an Google-Chef Eric Schmidt, sondern an Hubert Burda.
Fotomontage: DFKOM/Faust
Update 22.08.2014:
Heute berichtet Julian Reichelt im Interview mit Branchenkenner Peter Turi, dass Focus Online nun keinen Content mehr hinter der Paywall klaue. Turi vermutet in seinem heutigen Newsletter turi2, dass Hubert Burda persönlich seinen Online-Chefredakteur Daniel Steil in die Schranken gewiesen hat. Die „digitale Hehlerei“ zwischen den beiden Verlagshäusern scheint somit beendet.
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