16/10/2014 Dr. Dominik Faust

So können Einzelhändler als Marke überleben

Die Innenstädte vieler Kommunen in Deutschland gleichen sich: Warenhausketten, Ein-Euro-Läden, Frittenbuden, Leerstände. Immer mehr lokale Einzelhändler mit individuellen Angeboten, die das Gesicht einer Stadt prägen und sie attraktiv für die Bürger und Verbraucher machen, verschwinden. Sie erreichen ihre Kunden nicht mehr. Der Handelsverband Deutschland (HDE) rechnet daher mit 50.000 Standorten, die bis zum Jahr 2020 vom Markt verschwinden könnten. Diesem Trend könnte man durch erfolgreiche Markenbildung und Markenbindung begegnen. Denn Marken sind die Werttreiber des 21. Jahrhunderts. Und die Fans einer Marke sind die neue Basis für wirtschaftlichen Erfolg. Doch wie werden kleine und mittlere Unternehmen im stationären Einzelhandel zur Marke?

1. Kunden als Anspruchsgruppen verstehen

Zunächst gilt, dass Kunden keine Zielgruppen mehr sind, die man mit Waren oder Dienstleistungen ins Visier nimmt. Kunden von heute sind mündig und Dank Internet häufig bereits gut informiert, wenn sie einen Laden betreten. Dann haben sie einige der fünf Phasen der „Customer Journey“ bereits hinter sich: Sie sind auf ein Produkt aufmerksam geworden, interessieren sich dafür und erwägen jetzt ernsthaft den Kauf. Sie wissen, was sie wollen, mindestens aber, was sie nicht wollen. Sie haben Ansprüche, sind also Anspruchsgruppen. Sie erwarten vom stationären Einzelhandel Mehrwerte wie die bereitwillige und kompetente Beratung.

2. Service zum Wohlfühlen als Mehrwert bieten

Ein anderer Mehrwert ist Service zum Wohlfühlen. Dabei weiß jeder lokale Einzelhändler selbst am besten, welchen Service seine Kunden erwarten. Die einen freuen sich über kleine Aufmerksamkeiten wie einen Kaffee oder ein Kaltgetränk, die anderen über Fahrradständer vor der Türe oder eine Sitzgelegenheit im Innern. Wieder andere fühlen sich wohl, wenn sie im Laden auf Tablets online Testberichte über die angebotenen Waren lesen können, während sie sie an- oder ausprobieren. Und warum nicht online bestellen, was der Kunde möchte, man selbst aber gerade nicht im Sortiment hat? Für das zuvorkommende Erfüllen von Kundenwünschen, für Kundenfreundlichkeit, Flexibilität und Serviceorientierung gibt es keine Grenzen. Service macht lokalen Einzelhandel einzigartig. Service trägt somit entscheidend dazu bei, dass sie unverwechselbare Marken werden, an die sich Verbraucher gerne binden.

3. Online-Angebote zusätzlich aufnehmen

Online-Angebote sind ebenfalls für lokale Einzelhändler wichtig. Daher dürfen sie sich nicht gegen den Online-Handel, gegen eCommerce ausspielen lassen. Wer das tut, handelt einem modernen Image abträglich, was dem Ziel der Markenbildung und Markenbindung kontraindiziert wäre. Verbraucher nutzen ohnehin beide Einkaufskanäle („Multichanneling“) und unterscheiden kaum bewusst. Sie generieren mit ihren Wünschen die Nachfrage und der Handel in seiner Gesamtheit muss das Angebot bereithalten und vertreiben. Deshalb trägt es sicher zur Markenbildung bei, wenn Unternehmen im lokalen Einzelhandel als zusätzlichen Mehrwert Online-Angebote schaffen, die ins Markenbild passen. Das Potenzial dafür ist groß. Das zeigen die Ergebnisse der aktuellen Konjunktur-Umfrage des Handelsverband Deutschland (HVD). Demnach nutzen rund 70 (!) Prozent der stationären Retailer das Internet noch nicht aktiv als Vertriebskanal.

Dabei ist die Palette für Online-Angebote im Einzelhandel durchaus groß:

Website & Newsletter

Sie beginnt mit einer Homepage, über die viele Geschäfte im lokalen Einzelhandel noch immer nicht verfügen. Die Website muss nicht sehr aufwändig gestaltet, sollte aber responsive sein, damit sie auf allen Geräten gleich gut aussieht. Als Content-Management-System eignet sich zum Beispiel die Open Source Lösung WordPress. Auf der Website könnten Nutzer dann einen Newsletter abonnieren, der regelmäßig per E-Mail verschickt wird. Das ist eine Möglichkeit der Kunden- und Markenbindung. Damit kann neue Ware angekündigt und mittels attraktiver Fotos präsentiert werden. Hierbei sind die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen zu beachten.

Online-Marktplätze

Wer sich als örtlicher Retailer die Kosten für einen eigenen Online-Shop sparen möchte, der kann sich einem regionalen oder/und branchenspezifischen Online-Marktplatz wie my-store anschließen. Auf diese Weise präsentiert der lokale Einzelhandel das eigene Angebot nicht nur zu den Geschäftszeiten, sondern 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche (24/7).

Online-Shops

Wer im Einzelhandel mehr Geld investieren kann, in die notwendige technische Einrichtung sowie in die personelle Betreuung, der lässt einen eigenen Online-Shop mit Schnittstelle zum Warenwirtschaftssystem entwickeln. Kunden können dann stationär anprobieren, zu einem späteren Zeitpunkt (nachdem die Kaufentscheidung gefallen ist) online kaufen und die Ware selbst abholen. Oder sie können sich umgekehrt Ideen im Online-Shop holen und die Ware vor Ort im Geschäft kaufen. Hier 10 Tipps, die man beim Einrichten von Online-Shops beachten sollte, auch im Einzelhandel.

Tablets, QR-Codes

Ein weiteres Online-Angebot für den lokalen Einzelhandel können Tablets sein, die als verlängerte Arme ins Lager oder in andere Filialen fungieren. Dortige Ware kann so angesehen und ausgewählt werden, Außerdem lassen sich über Tablets Kundenrezensionen lesen, die die Kaufentscheidung fördern. Darüber hinaus haben Einzelhändler die Option, Waren und Schaufenster mit QR-Codes für mobil nutzbare Angebote auszustatten. Beim Scannen erscheinen die entsprechend hinterlegten Informationen in Text und Bild oder gar als Video.

Wearable Computing

Wer in Zukunft Wearable Computing nutzt, also tragbarer Datenverarbeitung wie die Datenbrille von Google, hat weitere Möglichkeiten im lokalen Einzelhandel. So können Verbraucher damit zusätzliche Informationen über jene Produkte ausfindig machen, die sie gerade im Geschäft anschauen, anfassen oder anprobieren. Kaufentscheidungen können so schneller fallen.

4. Social Media zur Kommunikation nutzen

Zum Internet gehören auch die sozialen Medien, also Online-Plattformen wie Facebook & Co. Über sie können lokale Einzelhändler mit ihren Anspruchsgruppen, mit ihren Kunden kommunizieren. Der Branche kann man durchaus mehr Mut zu Social Media empfehlen. Denn durch Dialog und Interaktion entsteht Vertrauen. Aus Marken-Vertrauen wiederum erwachsen Marken-Fürsprecher bzw. Fans als neue Basis für wirtschaftlichen Erfolg. Auch hierfür ist ausreichend Potenzial vorhanden. Denn nach Angaben des Branchenverbandes BITCOM sind mittlerweile 78 Prozent der Internetnutzer in sozialen Netzwerken angemeldet. 67 Prozent nutzen Social Media aktiv, bei den unter 30-Jährigen sind es sogar 90 Prozent.

Lokale Einzelhändler, die mit eigenen Accounts in den sozialen Medien vertreten sind, können mitreden, wenn über sie bzw. ihr Geschäft „gesprochen“ wird. Sie erfahren von Bedürfnissen ihrer Anspruchsgruppen und können ihr Sortiment danach ausrichten. Sie können ihren Kunden Hilfestellungen geben wie die Telekom sowie Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen, wenn sie regelmäßig Bewertungsportale checken als Teil ihres Social Media Monitoring. Und wer gutes Personal einstellen will, kann über die sozialen Medien Employer Branding betreiben und über Social Media seine Beliebtheit steigern. Nicht umsonst investieren Unternehmen in Social Media. Klar sollte aber sein, dass diese Aktivitäten zusätzliche Kräfte binden und nicht halbherzig durchgeführt werden dürfen.

Wer sich für ein Engagement in Social Media entscheidet, dem stellt sich die Frage nach dem Content. Was ist zu tun, wenn ein Benutzerkonto auf Twitter, Google Plus, YouTube, Facebook etc. eingerichtet oder eine Facebook-Fanpage für den Retailer generiert wurde? Bei den Inhalten hat es sich bewährt, Dinge zu posten, die unterhalten. Auch Social Dos & Don’ts sind zu beachten. Trockene Firmennachrichten sollten es nicht nur sein. Die Accounts auf Facebook & Co. sollen schließlich Emotionen wecken. Da ist es eine gute Gelegenheit, neben der Marke die Persönlichkeit des dahinter stehenden Einzelhändlers herauszustellen. So wird die Marke authentisch, bekommt ein Gesicht. Ein gutes Beispiel dafür ist der mittlerweile bekannte Maler Deck aus Karlsruhe.

5. Smart-Data über die Kunden generieren

Je mehr der Einzelhandel über seine Kunden weiß, desto besser kann er sein Angebot darauf abstimmen und optimieren. Der eCommerce, der zehn Mal schneller wächst als der Offline-Handel, hat sich diese Binsenweisheit längst zu Nutze gemacht. Wer online einkauft, gibt viele Daten über sich und seine Wünsche preis. Mittels mathematischer Algorithmen werden daraus individuelle Angebote generiert. Das sind Vorteile von Online-Shops; Amazon macht es vor. Im stationären Handel sind zum Beispiel Payback-Karten ein bekanntes Mittel, um das Einkaufsverhalten der Verbraucher zu dokumentieren. Auch qualifizierte Kundenbefragungen dienen dazu.

Doch auch die Bewegungen im Geschäft, die Verweildauer an bestimmten Punkten können interessant sein. Solche Daten werden über Sensoren ermittelt, wie sie zum Beispiel die Firma Viewsy aus London integriert. Sie nutzen die anonymen Handysignale der Kunden und bezeichnen ihr System stolz als “Google Analytics for Retailers”. Auf der CeBIT 20014 hat Viewsy den CODE_n-Startup-Award gewonnen. Mit den so und anders generierten Smart Data können lokale Einzelhändler unter anderem ihre Shop-Flächen optimal gestalten sowie ihre Marketing- und Kommunikationsaktivitäten darauf abstimmen.

Fazit für den Einzelhandel

Marken entstehen in den Köpfen der Menschen. Das gilt sowohl für globale Marken als auch für lokale Marken. Stationäre Einzelhändler haben es selbst in der Hand, ihr Unternehmen zu Marken zu etablieren und die immer online-affinere Kundschaft nachhaltig an ihre Marke zu binden. Dazu bedarf es nicht nur attraktiver Angebote und eines optimalen Marketing-Mix. Vielmehr sollten Offenheit gegenüber dem Internet und die Bereitschaft hinzukommen, zusätzlich zum bestehenden Waren- und Dienstleistungsangebot auch Online-Angebote zu generieren. Darüber hinaus braucht es den Dialog im Einzelhandel mit den Anspruchsgruppen über soziale Netzwerke wie Facebook & Co. sowie möglichst viele (legal erhobene) Kundendaten. So vereint der lokale Einzelhändler die Vorteile beider Einkaufskanäle auf sich und bleibt als Bereicherung der Innenstädte erhalten.

Foto: Faust

Post Scriptum:

Eine etwas kompaktere Version dieses Blogposts über den lokalen Einzelhandel ist heute als Gastbeitrag in den  Tageszeitungen der Mediengruppe Main-Post erschienen im Rahmen der Aktion „Lass den Klick in Deiner Stadt“. 

Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.