20/10/2019 Dr. Dominik Faust

Wo First-Class-Service der Digitalisierung trotzt

First-Class-Service wird im Zeitalter der Digitalisierung zunehmend zu einem entscheidenden Faktor für wirtschaftlichen Erfolg. Denn je mehr die Angebote von Unternehmen vergleichbar werden, desto mehr können sie sich mit individuellem Kundenservice profilieren und voneinander unterscheiden. Außerdem müssen sich Unternehmen, die erstklassigen Dienst am Menschen in ihrem Portfolio haben, kaum Sorgen vor digitaler Disruption machen. Denn ihr Angebot wird sich so schnell nicht durch künstliche Intelligenz und Roboter ersetzen lassen. Doch was genau ist First-Class-Service? Für eine Antwort haben wir von der Changeberatung viadoo eine der renommiertesten Ausbildungsstätten der Welt besucht, in der perfekter Service gelehrt wird: Die Schweizerische Hotelfachschule Luzern (SHL). Sie ist gewissermaßen Hüterin guten Benehmens im zwischenmenschlichen Zusammenleben.

Besuche in Geschäften müssen zu Erlebnissen werden

Die SHL am Vierwaldstättersee zählt zu den Top-Kaderschmieden für Hospitality-Management. Derzeit sind rund 600 Studierende eingeschrieben. Jedes Jahr schließen rund 100 von ihnen das Studium zum „Dipl. Hôtelier-Restaurateur HF“ bzw. zur „Dipl. Hôtelière-Restauratrice HF“ oder zum „Bachelor of Science in Hospitality Management“ ab. Ab April 2020 können sie sich sogar zum „Certified Butler SHL“ ausbilden lassen. Absolventen der SHL werden in der Regel von renommierten Häusern auf der ganzen Welt nachgefragt. Deren Gäste zahlen viel Geld für ausgezeichnetes Essen, exzellente Unterkünfte und damit für möglichst einzigartige Erlebnisse.

Die 4B-Formel des First-Class-Service

Zu einzigartigen Erlebnissen werden ein Restaurantbesuch oder ein Hotelaufenthalt, aber auch der Besuch eines Geschäfts allerdings erst durch First-Class-Service. Doch was ist das? „Wir fassen erstklassigen Service unter die 4B-Formel zusammen“, erklärt der stellvertretende SHL-Direktor Timo Albiez (Foto oben, links) im Gespräch mit der Changeberatung viadoo.

1. Begrüßung

Das erste B sei die Begrüßung des Gastes. „Sie sollte stets freundlich und namentlich erfolgen“, so Albiez. Am besten spreche man den Gast mindestens drei Mal mit Namen an. Was selbstverständlich klingt, ist vielen B2C-Unternehmen leider längst verloren gegangen. Wer erinnert sich zum Beispiel noch, wann ihn das letzte Mal eine Kassiererin im Einzelhandel samt Augenkontakt freundlich oder gar namentlich (ablesbar zum Beispiel auf der EC-Karte) angesprochen hat? Die Folgen derart fehlenden Services im Retail sind bekannt: Kassiererinnen werden durch Scanner ersetzt, der stationäre Handel zunehmend durch E-Commerce. Ähnliches gilt für Menschen in Call-Centern oder Chats, an deren Stelle zunehmend Roboter bzw. Bots treten. Und die Liste lässt sich beliebig fortführen.

2. Begleitung

Doch zurück zum erstklassigen Service in der Gastronomie und Hotellerie und damit zum zweiten B: „Nach der Begrüßung folgt die Begleitung zu Zimmer oder Tisch mit entsprechendem Small Talk und Einhalten von Benimmregeln“, so der erfahrene Manager und Ausbilder Albiez. So ist es in Dreisterne-Restaurants und Fünfsterne-Hotels weiterhin üblich, dass den Gästen Türen aufgehalten, Mäntel abgenommen und Stühle hingeschoben werden. Im Einzelhandel wäre zuvorkommender Service auch möglich, ist leider jedoch eher selten. Was sich allerdings immer häufiger durchsetzt, ist das Servieren von Wasser und Kaffee in Wartebereichen. Wer diesbezüglich etwas Außergewöhnliches bieten will, muss sich mehr einfallen lassen.

3. Betreuung

Nach der Begrüßung und Begleitung folgt der Aufenthalt in einem Restaurant oder Hotel und damit das dritte B: die kompetente Beratung und Betreuung des Gastes. Hier geht es ums Dienen in seiner reinsten Form. Darin ist seit vielen Jahren Hanspeter Vochezer Experte. Der Inhaber der Schweizerischen Butler Schule (Swiss Butlers) hat unter anderem als Privater Butler der Familie Gunter Sachs gedient. Gemeinsam mit der SHL in Luzern entwickelte er den Ausbildungsgang „Certified Butler SHL“, der im April 2020 an der SHL beginnt. Beratung und Betreuung als Teil erstklassigen Services erfordert hohe geistige und körperliche Präsenz der Servicekräfte, weiß auch Jürgen Zerza (Foto oben, rechts). Er leitet den Bereich Restauration der SHL. Nach seiner Überzeugung nehmen sich exzellente Servicekräfte Zeit für ihre Gäste bzw. Kunden. Sie sprechen sie mit Namen an, gehen auf ihre Wünsche ein, sorgen für eine angenehme Atmosphäre und tragen keine störenden Handys bei sich. Außerhalb des gehobenen Hospitality-Business gibt es derart serviceorientierte Betreuung und Beratung allenfalls noch in ausgewählten Bekleidungshäusern bzw. Boutiquen oder bei Juwelieren. Dabei könnte sich der stationäre Handel gerade durch attraktiven Service vom E-Commerce abheben und auf diese Weise Kunden in die Läden locken.

4. Bye-Bye

Was nach Ansicht von Timo Albiez häufig unterschätzt wird, ist schließlich das vierte B, nämlich das Bye-Bye. Oftmals wird Gästen bzw. Kunden der Eindruck vermittelt, nach dem Begleichen der Rechnung würden sie keine Rolle mehr spielen. „So ein Eindruck macht alles wieder zunichte, was in den Schritten zuvor mühsam aufgebaut wurde“, erklärt der stellvertretende SHL-Direktor gegenüber der Changeberatung viadoo. Neben dem selbstverständlichen Dank für den Besuch erfragen erstklassige Servicekräfte zum Abschied die Zufriedenheit des Gastes. Außerdem helfen sie  in den Mantel und halten die Türen auf. „Vielleicht haben sie zum Abschied sogar noch einen Tipp für ein kommendes Event oder sie können vor Polizeikontrollen auf dem Heimweg warnen“, rät Albiez. Entscheidend ist, dass auf die Bezahlung noch etwas mehr folgt als ein obligatorisches Danke. Etwas, das in Erinnerung bleibt und zum Wiederkommen einlädt.

Der gescheiterte Versuch eines Roboter-Hotels

Viele Menschen, die solch erstklassigen Service seit Jahrzehnten schätzen, sehen ihn durch die Möglichkeiten der Digitalisierung gefährdet. Wie zur Bestätigung eröffnete im Frühjahr 2015 in Japan das erste Hotel, das überwiegend mit Robotern betrieben wurde. Vom Check-in bis zum Check-out waren allein Computer die Ansprechpartner der Gäste. Damit schaffte es das Henn na Hotel sogar ins Guinnessbuch der Rekorde.

Zugegeben, bei diesem Hotel handelt es sich nicht um ein Fünfsterne-Haus: Die Preise lagen bei 75 Dollar. Dennoch wurde exemplarisch gezeigt, dass Serviceleistungen grundsätzlich durch digitale Angebote ersetzt und damit von Menschen ausgeübte Jobs im Bereich Hospitality disruptiert werden können. Doch vier Jahre später gilt das Projekt nun als weitgehend gescheitert. Denn das Hotel hat in diesem Jahr die Hälfte seiner 243 Roboter quasi entlassen. Die Gäste waren unter anderem genervt davon, dass die künstliche Intelligenz nicht auf alle Fragen erschöpfende Antworten finden konnte.

First-Class-Service wird immer gefragter

In der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern haben sie keine Sorge vor einer Disruption der Jobs, die sie seit 110 Jahren ausbilden. Im Gegenteil: Immer mehr branchenfremde Unternehmen fragen die Dienstleistungen der Bildungsstätte am Vierwaldstättersee nach, weil sie ihren eigenen Service verbessern wollen, um sich positiv von Mitbewerben abzuheben. So hat die Schule etwa zusammen mit einem großen Mercedes-Benz-Händler eine Weiterbildungsmaßnahme entwickelt. Das Unternehmen mit Standorten in der Schweiz und in Deutschland verkauft Premiumfahrzeuge an Kunden, die regelmäßig in erstklassigen Restaurants und Hotels verkehren. Diese Lebensweise sowie die damit verbundenen Erwartungen an First-Class-Service sollen die Beschäftigten im Rahmen eines eintägigen Seminars an der SHL kennenlernen. Ähnliches gilt für Mitarbeitende von Behörden, die sich zum Beispiel als Fahnder im Bereich der Wirtschaftskriminalität in gehobenen Kreise bewegen müssen – und zwar unauffällig, also formvollendet. Auch sie lassen sich in der renommierten Hotelfachschule entsprechend schulen.

Die SHL im schweizerischen Luzern ist damit auf mehrere Weise ein Vorbild: Zum einen belegt die wachsende Nachfrage von Unternehmen nach dem Angebot der Hospitalcity-Kaderschmiede, welch wachsende Bedeutung Firmen erstklassigem Kundenservice mittlerweile beimessen. Zum anderen zeigt die Hotelfachschule, wie man durch die Vermittlung von First-Class-Service der Digitalisierung und damit der digitalen Disruption erfolgreich trotzt.

Foto: © Faust / viadoo GmbH

Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.