„Lasst uns von Tonne zu Tonne eilen, wir wollen dem Müll eine Abfuhr erteilen“, dichtete einst Heinz Erhardt. Doch das Bild von orangenen Müllmännern auf orangenen Dieselrössern hat allmählich ausgedient. Roboter disruptieren den Beruf des Müllwerkers, erschaffen die autonome Müllabfuhr. Und das nur wenige Jahre, nachdem die Entsorgungswirtschaft 2002 den Ausbildungsberuf der so genannten Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft ins Leben rief. An die Stelle der Müllmänner treten demnächst autonome Roboter. Sie eilen auf autonomen Lkw elektrisch und damit leise von Tonne zu Tonne. Unter anderem die Chalmers University of Technology in Göteborg, der Lkw-Hersteller Volvo Trucks sowie das Entsorgungsunternehmen Renova (alle aus Schweden) treiben diese Disruption voran. Bei den automatisierten Systemen handelt es sich im Prinzip um dieselben Funktionen, mit denen auch ein anderer selbstfahrender Volvo Truck ausgestattet ist. Er wird seit Herbst 2016 im Bergwerk Kristineberg in Nordschweden eingesetzt.
Der autonome Müllroboter
Wer die autonome Müllabfuhr bzw. Abfallentsorgung realisieren möchte, benötigt im Grunde zwei autonome Teilsysteme. Das eine Teilsystem besteht aus dem autonomen Lkw. Das andere aus autonomen Robotern, welche die Tonnen aus Grundstücken holen und im Lkw entleeren. Übrigens: Große Abfall-Container, die von der Straße aus zugänglich sind, werden bereits heute ohne „Peripheral Support Devices“ entleert. An den Roboter-Müllmännern forschte von Februar 2015 bis Juni 2016 die Chalmers University of Technology in Göteborg zusammen mit der Pennsylvania State University und der Firma Renova. Das Projekt hieß RObot based Autonomous Refuse handling (ROAR). Das folgende Kurzvideo veranschaulicht eindrücklich, worum es dabei ging und weiter gehen wird.
The Student project ROAR – Robot-based Autonomous Refuse handling – ANIMATION from Chalmers Univ. of Technology on Vimeo.
Es stellt sich natürlich die Frage, woher die Roboter-Müllwerker wissen können, wo die Tonnen stehen. Die Antwort steckte im Projekt ROAR in einer Drohne, die die Studenten entwickelt hatten. Sie befand sich auf dem Entsorgungsfahrzeug und hob von dort ab. Aus der Luft scannte sie die Umgebung, erstellte eine digitale Karte und ermittelte die Positionen der Mülltonnen. Die Roboter selbst wiederum waren ausgestattet mit Sensoren wie GPS-Navigation und Kameras.
Das autonome Müllauto
Und wie sieht es beim zweiten Teilsystem aus? Die Forschung an der autonomen Müllabfuhr bzw. dem autonomen Entsorgungsfahrzeug treibt in Europa der skandinavische Lkw-Hersteller Volvo Trucks voran. Wie die Schweden letzte Woche per Pressemitteilung verlauten ließen, untersuchen sie zusammen mit Renova, „welchen Beitrag automatisierte Fahrzeuge für eine sichere und effiziente Abfallentsorgung und ein besseres Arbeitsumfeld leisten können.“ Dabei wird ein Lkw eingesetzt, der sich autonom höchstens in Schrittgeschwindigkeit bewegt. Der Fahrer läuft in der Zwischenzeit neben oder hinter dem Fahrzeug her und sammelt die Mülltonnen ein. Das funktioniert deshalb, weil der Truck bei seiner ersten Fahrt durch ein Wohngebiet traditionell vom Fahrerhaus aus gesteuert wird. Dabei kartiert das integrierte Bordsystem die Strecke permanent mit Hilfe von Sensoren und GPS-Technik. Auf dieser Datenbasis kennt es dann den Streckenverlauf und weiß, an welchen Abfallbehältern es im autonomen Betrieb anhalten muss.
Zum Themenkomplex Sicherheit und autonome Müllabfuhr sagt Carl Johan Almqvist, der Leiter für Verkehrs- und Produktsicherheit bei Volvo Trucks: „Das Abfallentsorgungsfahrzeug überwacht permanent sein Umfeld. Es hält sofort an, wenn plötzlich ein Hindernis auf der Straße auftaucht.“ Das ist auch der Grund, warum der Lkw autonom bislang nur rückwärts fährt. Der Fahrer bewegt sich in exakt dieselbe Richtung und hat daher alles im Blick, was in Fahrtrichtung passiert. Außerdem kann er so die ganze Zeit in der Nähe des Abfallverdichters bleiben. Er muss nicht nach jeder Fahrt zur nächsten Tonne aussteigen und um das Fahrzeug herum laufen. Und wenn der Weg beispielsweise durch ein geparktes Auto versperrt ist, kann das Entsorgungsfahrzeug bei ausreichendem Platz automatisch um das Hindernis herumfahren.
Die autonome Müllabfuhr dauert noch
„Obwohl die technischen Voraussetzungen bereits vorhanden sind, bleibt noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit, bis selbstfahrende Abfallentsorgungsfahrzeuge Wirklichkeit werden“, räumt Volvo Trucks ein. Das aktuelle Gemeinschaftsprojekt läuft noch bis Ende dieses Jahres. Danach wollen sich die Beteiligten sehr genau ansehen, wie es funktioniert hat. Sie werden klären, wie es um die Sicherheit bestellt ist. Und sie werden überprüfen, wie gut derartige Fahrzeuge von Fahrern, anderen Verkehrsteilnehmern und Anwohnern angenommen werden. Schon jetzt scheint aber klar, dass es den Müllwerker in seiner bisherigen Form mittel- bis langfristig nicht mehr geben wird. Dieser Beruf wird ebenso disruptiert wie die komplette Automobilindustrie. Für deren Zukunft gibt es etliche Szenarien. Eines sieht vor, dass Megastädte ihren öffentlichen Nahverkehr teilweise mit Robotaxis ersetzen könnten. In der Folge könnten gigantische Flottenbetreiber von Robotertaxis entstehen, die den OEMs das Wasser abgraben.
Autonome Lkw sind bereits in der Erprobung
Wahrscheinlich werden Fahrzeuge mit unterschiedlichen Automationsgraden anderswo früher Einzug halten. Zum Beispiel dort, dort Lkw Transportaufgaben in abgeschlossenen Bereichen bewältigen, wie etwa in Bergwerken und an Frachtterminals. So rangiert Volkswagen in seinem Werk in Zwickau E-Trucks automatisch rückwärts an die Rampen. Doch auch auf deutschen Autobahnen werden Vorbereitungen für autonomes Fahren getroffen. Ein Beispiel dafür ist das 2015 eingerichtete „Digitale Testfeld Autobahn“ auf der A9 zwischen Nürnberg und München. Dafür hat das Bundesverkehrsministerium die Infrastruktur der Strecke digitalisieren, mit Sensorik ausstatten und mit dem künftigen Mobilfunkstandard 5G versehen lassen. Schwerpunkte des Projekts bilden die Car-to-Car- und Car-to-Infrastructure-Kommunikation in Echtzeit.
Daimler Trucks führte bereits 2014 auf einem abgesperrten Abschnitt der A14 bei Magdeburg die weltweit erste autonome Lkw-Fahrt durch. Ein Jahr später konnte der Hersteller in den USA den weltweit ersten autonom fahrenden Lkw mit Straßenzulassung vorstellen. Ebenfalls seit 2014 entwickelt eine Firmengruppe unter Leitung der VW-Tochter Scania ein Patooning-System (Lkw-Kolonnenfahrten teilweise ohne Fahrer). Den Rahmen dafür bildet das europäische Projekt Companion (Umfang: 5,4 Millionen Euro). Seit diesem Jahr baut Scania mit Toyota im Auftrag der Hafenbehörde von Singapur das weltweit erste komplett autonom fahrende Platooning-Gespann. Auch Busse könnten in Zukunft automatisiert an Haltebuchten heranfahren, um Bagatellschäden durch menschliche Lenkfehler zu vermeiden.
Titelbild: Volvo Trucks
Autonome Müllabfuhr: 6 Stufen des selbstfahrenden Autos
Ab wann spricht man eigentlich von autonomen Fahren? Die Bundesanstalt für Straßenwesen unterscheidet sechs Stufen:
Autonomiestufe 1: Assistiertes Fahren
Autonomiestufe 2: Teilautomatisiertes Fahren
Autonomiestufe 3: Bedingungsautomatisiertes Fahren
Das Fahrzeug führt selbstständig Funktionen aus. Dazu können das Auslösen des Blinkers, Spurwechsel und Spurhalten zählen. Der Fahrer kann sich derweil anderen Dingen zuwenden. Er wird jedoch bei Bedarf innerhalb einer Vorwarnzeit vom System aufgefordert, die Führung zu übernehmen. Der Gesetzgeber arbeitet darauf hin, Autonomiestufen-3-Fahrzeuge zuzulassen.