22/04/2013 Dr. Dominik Faust

BR setzt AktZent durch trimedialen Newsroom

Wie ein Planungs-Desk und ein Nachrichten-Desk funktionieren

Beim Österreichischen Rundfunk (ORF) in Wien sind die Planungen zur Einführung eines trimedialen Newsdesk in vollem Gange. Dafür verantwortlich ist ORF-Manager Stefan Ströbitzer. Sein Kollege Dr. Roland Scheble, seit 2011 Leiter der neu geschaffenen Hauptabteilung „Strategie und Innovationsmanagement“ beim Intendanten des Bayerischen Rundfunks (BR), Ulrich Wilhelm, ist da schon weiter. Unter der Bezeichnung „BR hoch drei“ treibt Scheble den Umbau des BR zu einem trimedialen Medienhaus voran. Am Ende sollen ursprünglich in Silos getrennte Redaktionen gemeinsam planen, recherchieren, sich austauschen und auf diese Weise die journalistischen Angebote für die Nutzer auf allen Ausspielkanälen ausbauen. Das ist die zentrale Antwort des BR auf die geänderte Mediennutzung. Am weitesten fortgeschritten in diesem Veränderungsprozess ist das Studio Franken des BR in Nürnberg. Und dort wiederum das so genannte Aktualitätenzentrum (AktZent). Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen des Newsroom bzw. Newsdesk.

BR hoch drei am weitesten in Nürnberg

Um die Vorteile der medienübergreifenden Konzeption des AktZent verstehen zu können, ist ein kurzer Blick auf das BR-Studio notwendig. Der seit 1949 betriebene Komplex aus unterschiedlich großen Gebäuden in der Wallensteinstraße in Nürnberg ist eines von über 20 ARD-Studios in Deutschland. Von dort aus versorgen rund 320 feste und freie Mitarbeiter ein Gebiet so groß wie Hessen via Online, Fernsehen und Hörfunk mit journalistisch aufbereiteten Informationen. Schwerpunktmäßig produzieren und beliefern sie Sendungen des Bayerischen Rundfunks. Darüber hinaus steuern sie Beiträge für bundesweit ausgestrahlte Nachrichtensendungen und Magazine der ARD bei. Studioleiter ist Martin Wagner. Innerhalb der parkähnlichen Anlage mit vorwiegend alten Bauten wurde im Oktober 2012 das langgestreckte, zweistöckige AktZent eingeweiht.

br hoch drei

Der Neubau des Aktualitätenzentrums mit dem Newsroom im 1. Stock. Foto: © Faust

 1. Planungs-Desk

Im ersten Stock des AktZent befindet sich sein Herz, der trimediale Newsroom. Rund 50 Funktionsarbeitsplätze sind auf einer großen Teamfläche verteilt. Durch Schichtbetrieb bieten sie Platz für über 120 Medienschaffende. Gleich neben den abgetrennten Büros der beiden AktZent-Chefs Stephan Kirchner und Gerhard Kockert bilden die Schreibtische von sechs Mitarbeitern die Gruppe den Planungs-Desk, also die trimediale Planung und Recherche.

Im Einzelnen arbeiten an dieser Schreibtisch-Insel ein Online-, ein TV- und ein Radio-Vorplaner. Hinzu kommt ein Live-Reporter, der Schaltungen in bestimmte Sendungen vorbereitet und den dafür notwendigen Einsatz der Übertragungswagen (SNG: Satellite News Gathering) im Gebäude gegenüber koordiniert. Gemeinsam bereiten sie die Sendungen der jeweils nächsten Woche vor. Dazu sichten sie auch Themen aus Mails, die über eine zentrale E-Mail-Adresse einlaufen und ihnen durch einen journalistischen Gatekeeper weitergeleitet werden. Die Planer werden von einer Asssistenz unterstützt, die interessanterweise gleichzeitig Social-Media-Managerin ist. Wie bei allen modernen Medienhäusern werden natürlich auch im AktZent Themen und Termine in spezielle Softwaretools eingepflegt, die das Zusammenarbeiten erleichtern und den Cross-Media-Workflow steuern.

Eine weitere Besonderheit in der Vorplanungsgruppe stellt ein Arbeitsplatz für Mitarbeiter aus dem TV- und Radio-Archiv (Mediendokumentare) dar. Im Wochenrhythmus sitzt eine/r von ihnen am Planungs-Desk und erstellt für die Kollegen Dossiers und Fact-Sheets. Diese Zusammenstellungen können Videos, Audio-Files, Presseartikel, Fotos und Web-Content enthalten. Als primäre Rechercheinstrumente dienen ihnen ein Video-Asset-Management-System (ViAM) sowie der so genannte Medienbroker für die Suche in allen BR-Archiven und zum Teil ARD-weit.

2. Nachrichten-Desk

Unmittelbar neben dem Planungs-Desk befindet sich der so genannte Nachrichten-Desk. Dort sprechen sich Journalisten aller drei Mediengattungen über die aktuelle Nachrichtenlage ab, schicken Korrespondenten vor Ort und produzieren Nachrichten für alle Ausspielkanäle. Für Radio-News wurde speziell ein modernes Glasstudio in die Teamfläche integriert. Neuigkeiten können somit noch schneller auf Sendung gehen. Für Bewegtbild-News sind unter anderem ein Videojournalist (VJ) und ein Videoredakteur zuständig, die NiFs (Nachrichten im Film) für Online produzieren. Korrespondenten und Reporter wurden übrigens mittels Mobile Reporting Workshops in der Medienproduktion mit mobilen Geräten geschult, um Qualitätsjournalismus im Digital-Media-Zeitalter zu sichern.

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Zusätzlich zu den großen Fernseh- und Hörfunkstudios auf dem BR-Campus wurde im AktZent (Newsroom) ein kleines Hörfunkstudio hinter Glas in die Teamfläche integriert. Foto: © Faust

Am Nachrichten-Desk hat schließlich auch der Online-CvD seinen Platz. Er fungiert als zentraler Koordinator für Webcontent auf den Regionalportalen von BR-Online. Bevor Inhalte veröffentlicht werden, nimmt er sie ab. Unterstützt wird er unter anderem von vier Online-Kollegen an einer nebenstehenden Schreibtisch-Insel. Ein Multimedia-Assistent stellt abends Bilder und Filme ins Netz. Auch für die Pflege der Metadaten sind die Onliner verantwortlich.

3. CvD-Desk und Redaktionskonferenz

Währen der Online-CvD am Nachrichten-Desk sitzt, haben der TV- und der Radio-CvD ihre Arbeitsplätze am unmittelbar angrenzenden CvD-Desk. Die CvDs wechseln sich ab in der Funktion des Tages-CvD, der über die mehrmedialen Themen des Tages entscheidet. Eine ganz wichtige Rolle spielt dabei die tägliche Redaktionskonferenz, deren Leitung ebenfalls dem Tages-CvD obliegt. Der große Besprechungstisch befindet sich auch auf der Teamfläche, leicht abgetrennt von den Schreibtisch-Inseln. Dort sitzen täglich um 8:15 Uhr trimediale Redakteure bzw. Mitarbeiter zusammen. Nach einer kurzen Presseschau besprechen sie, was in welchem Medium wann und wie auf Sendung geht. Per Videoschaltung ist stets das Studio Mainfranken aus Würzburg mit am Tisch, das von Eberhard Schellenberger geleitet wird. Die Themen- und Terminplanung wird per Beamer an die Wand geworfen. Ehrgeiziges Ziel von AktZent-Koordinator Stephan Kirchner und seinem Team ist es, die BR-Nutzer in Franken jeden Tag mit bis zu drei eigenen trimedialen Geschichten zu überraschen.

Fazit

Es macht immer wieder Freude, erfolgreiche Konzeptionen für übergreifende journalistische Zusammenarbeit hautnah zu erleben. So erging es dem Autor schon vor zehn Jahren bei Besuchen der Newsrooms von Financial Times Deutschland (präsentiert damals durch Chefredakteur Christoph Keese) und von BILD (präsentiert durch Kai Diekmann) sowie zuletzt beim Bayerischen Rundfunk. Dessen Aktualitätenzentrum ist die richtige Antwort eines Medienhauses 2.0 auf den rasanten Wandel der Mediennutzung. Wer sich solchen Anpassungen dauerhaft verweigert, erreicht nicht mehr seine Anspruchsgruppen und produziert ins Off. Der BR hat das erkannt und befindet sich damit in bester Gesellschaft. Denn wie sagte zum Beispiel der Herausgeber der New York Times, Arthur Sulzberger Jr., im November 2012? “Our future is on to video, to social, to mobile.“

Fotos: © Faust

Update 14.11.2013:

Das Projekt „BR hoch drei“ entwickelt sich laut einer Pressemitteilung des BR erfolgreich weiter: In seiner heutigen Sitzung billigte der BR-Rundfunkrat einstimmig die Pläne der Geschäftsleitung zur Etablierung einer multimedialen Informationsdirektion. Darunter werden ab Mai 2014 die Internetredaktion und folgende, aktuell arbeitende Programmbereiche subsumiert: „B5 aktuell – Politik und Wirtschaft“ (Hörfunkprogrammbereich), „Politik“ u.a. mit den Nachrichtensendungen Abendschau und Rundschau sowie „Sport und Freizeit“ (Fernsehprogrammbereiche). Die multimediale Informationsdirektion wird auch für das trimediale Aktualitätenzentrum zuständig sein, das derzeit in München-Freimann entsteht. Der BR ist mit 3.200 Planstellen und einem Budget von rund einer Milliarde Euro (2013) die fünfgrößte ARD-Landesrundfunkanstalt.

Update 13.12.2013:

In einem BR-internen Interview erläutert Intendant Ulrich Wilhelm seine Pläne zur Schaffung einer neuen Direktion „Information“: „Künftig fassen wir Redaktionen zusammen, die dann Themen gemeinsam planen und recherchieren sowie für alle Ausspielwege aufbereiten, also für Fernsehen, Radio, Internet und Social Media.“ Die Informationsdirektion wird somit die erste medienübergreifende Programmdirektion des BR, unter der alle aktuellen Redaktionen aus Hörfunk, Fernsehen und Online unter einer Verantwortung zusammengefasst sein werden. Ab 1. Mai 2014 wird Thomas Hinrichs die neue Position des Informationsdirektors besetzen. Er ist bislang als Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell für die „Tagesthemen“ verantwortlich. Außerdem hatte der BR-Rundfunkrat den bisherigen Leiter des BR-Studios Franken, den gebürtigen Würzburger Martin Wagner (s.o.), zum neuen Hörfunkdirektor berufen.

Update 19.03.2019:

In den zurückliegenden Jahren wurden schrittweise alle Programmbereiche des Bayerischen Rundfunks nach Themengebieten medienübergreifend zusammengeführt. Den Direktionszuschnitt nach den traditionellen Ausspielwegen „Hörfunk“ und „Fernsehen“ wird es gemäß einer Pressemeldung des BR ab 1. Juli 2020 im Bayerischen Rundfunk nicht mehr geben. Sie werden abgelöst durch die Programmdirektion „Kultur“ (Bayern 2, BR-Klassik, Planungen für das Bayerische Fernsehen, ARD-alpha, 3sat und der Digitalsender „BR Heimat“) und die Programmdirektion „Information“ (Bayern 1, Bayern 3, Puls, Politik & Wirtschaft sowie Sport & Freizeit).

Update 29.06.2020:

BR-Intendant Ulrich Wilhelm erklärt in einer Pressemitteilung den trimedialen Umbau des Bayerischen Rundfunks auf organisatorischer Ebene für abgeschlossen. Anlass ist das altersbedingte Ausscheiden von Hörfunkdirektor Martin Wagner in den Ruhestand. Seine Position wird gestrichen, sodass nur die im Vorjahr angekündigten Posten des Informationsdirektors und des Kulturdirektors verbleiben. 

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Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.