07/04/2022 Dr. Dominik Faust

Soziale Verantwortung oder makelloses Image

Russlands Angriffskrieg stellt tausende Firmen vor eine schwere Entscheidung

Soziale Verantwortung? Über 3.500 Firmen in Deutschland stehen seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar vor der Frage, wie sie es mit dem Aggressor halten. Viele haben sich aus moralischen Gründen aus dem russischen Markt ganz oder zeitweise zurückgezogen. Dazu gehören etwa Mercedes-Benz, Siemens, SAP, Knorr-Bremse und MAN. Es gibt aber auch Firmen, die im russischen Markt geblieben sind. Aus Verantwortung für ihre Beschäftigten, Kunden und Partner, wie sie versichern. Doch der öffentliche Druck auf sie ist enorm. Sie finden sich an Internet-Prangern wie der „Hall of Shame“ von Jeffrey Sonnenfeld von der Yale School of Management wieder. Und sie sehen sich gezwungen, sich zwischen sozialer Verantwortung (CSR) und unbeschädigter Reputation zu entscheiden. Beides gleichzeitig scheint diesen Unternehmen in der aufgeheizten Stimmung nicht vergönnt zu sein.

Ritter Sport und die soziale Verantwortung für Kakaobauern

Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, machte aus dem seit den 70er Jahren bekannten Claim von Ritter Sport (Quadratisch. Praktisch. Gut.) auf Twitter kurzerhand „Quadratisch. Praktisch. Blut.“ Der Grund für seine undiplomatische Äußerung? Die Alfred Ritter GmbH & Co. KG aus Baden-Württemberg will zwar ihre Gewinne aus dem Russland-Geschäft für die Ukraine spenden, möchte aber weiter ihre Schokolade dorthin liefern. Sie hat sich damit aus Sicht des ukrainischen Botschafters gegen eine bedingungslose Solidarität mit der Ukraine entschieden. Dabei wäre die Aufgabe des Russland-Geschäfts durchaus viel verlangt für den Familienbetrieb mit seinen rund 1.500 Beschäftigten. Denn in diesem zweitwichtigsten Absatzmarkt nach Deutschland erwirtschaftet der Schokoladenhersteller zehn Prozent seines Gesamtumsatzes in Höhe von rund 505 Millionen Euro.

Ein Russland-Boykott hätte nicht nur Auswirkungen auf den Bestand der Arbeitsplätze von Ritter Sport. Als weiterer sozialer Aspekt komme nach Angaben von CEO Andreas Ronken hinzu, dass viele Kakaobauern in Westafrika, Mittel- und Südamerika einen Großteil ihrer Existenzgrundlage verlören. Denn zu ihnen habe die Alfred Ritter GmbH in den vergangenen Jahren faire und nachhaltige Lieferketten aufgebaut. „Wir sind zutiefst schockiert vom Leid der Menschen in der Ukraine. [Aber …] wir tragen auch Verantwortung für unsere Mitarbeitenden und Partner. […] Wir kennen uns persönlich und wir zählen aufeinander.“ So beschrieb Ronken die innere Zerrissenheit von Ritter Sport kürzlich in einem Beitrag auf LinkedIn. Gleichzeitig begründete er darin, warum die Wahl von Ritter Sport auf die soziale Verantwortung fiel.

Knauf Gips und die Verantwortung für Bildung in Russland

Ebenfalls zehn Prozent des Gesamtumsatzes beträgt das Russland-Geschäft beim Baustoff-Produzenten Gebr. Knauf KG aus Bayern. Allerdings in einer wesentlichen höheren Dimension. Denn das Familienunternehmen mit weltweit etwa 35.000 Beschäftigten erwirtschaftet pro Jahr rund zwölf Milliarden Euro (2021). In 86 Ländern betreibt Knauf Gips rund 220 Werke und 75 Rohsteinbetriebe. Allein in Russland beschäftigt das Unternehmen 4.000 Menschen an 14 Standorten und bezeichnet sich als größten deutschen Investor in der Baubranche in Russland.

Kein Wunder, dass Knauf diesen Markt nicht ohne weiteres boykottieren möchte. Neben den ökonomischen Gründen verweist der Gipskonzern auf seine soziale Verantwortung für seine Beschäftigten in Russland sowie für deren Familien und für die Zulieferer. Außerdem führt er die vor Ort gezahlten Steuern ins Feld, mit denen unter anderem Krankenhäuser, Schulen und Universitäten finanziert würden. Immerhin würde Knauf seine Waren weder an den Kreml noch an das russische Militär liefern, ließ sich Uwe Knotzer jüngst in einer Regionalzeitung zitieren. Knotzer ist seit Juni 2021 einer der drei persönlich haftenden Gesellschafter der Knauf-Gruppe und verantwortlich für das Russland-Geschäft. Er hat auch innerhalb einer Woche ein leerstehendes Gebäude in der Nähe des Firmenstandortes Iphofen durch die Bauabteilung von Knauf renovieren lassen, damit es fortan als Unterkunft für 100 Geflüchtete aus der Ukraine dienen kann.

Mondi Papier und die Eigenständigkeit in Russland

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf die Mondi Group. Der börsennotierte Verpackungs- und Papierhersteller hat zwar seine Hauptsitze in Wien und Weybridge (GB), aber auch fast 80 Standorte in Deutschland (u.a. über Beteiligungen). In Russland ist der Konzern seit 22 Jahren aktiv und erwirtschaftet dort gemäß einer Veröffentlichung vom 28. Februar 2022 zwölf Prozent seines Gesamtumsatzes. Der betrug 2021 rund 7,7 Milliarden Euro (mit rund 26.000 MA). Mindestens neun Mondi-Standorte gibt es in ganz Russland. Allein die Geschäftseinheit Mondi Uncouted Fine Paper (UFP) betreibt eine Papiermühle mit über 4.500 Beschäftigten. Diese Mondi Syktyvkar ist nach eigenen Angaben der größte Papierhersteller des Landes.

Am 10. März 2022 erklärte Mondi, wie sehr der Konzern geschockt sei von den humanitären Auswirkungen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine (ohne freilich Ursache und Wirkung so klar zu benennen). Mondi betont weiterhin die Eigenständigkeit seines Werks im russischen Syktyvkar. Vermutlich deshalb ist der Konzern bislang auch nicht in der eingangs erwähnten „Hall of Shame“ zu finden oder sonst – etwa am Hauptsitz in Österreich – öffentlich unter Druck geraten. Mondi plant nicht, sich aus Russland zurückzuziehen. Das kann man als Entscheidung für soziale Verantwortung vor Ort interpretieren. Außerdem spendete Mondi eine Million Euro an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.

Zurich Versicherung und das Ende ihres Logos

Leichter tun sich da zum Beispiel Unternehmen der Versicherungsbranche. Allianz, Hannover Rück, Generali und andere haben ihr Russland-Geschäft stark zurück gefahren. Sie konnten sich im Dilemma zwischen sozialer Verantwortung und makellosem Image schnell entscheiden. Ein Versicherer fand sich allerdings vor einer anderen großen und völlig unerwarteten Herausforderung: Die Zurich Versicherung trägt nämlich den Buchstanden Z im Logo. Und dieser ist seit dem Überfall der Russen auf die Ukraine das Erkennungszeichen des Aggressors auf allen Militärfahrzeugen. Z steht dort für den Slogan „Für den Sieg“ (auf russisch: „Za Pobedu“).

Kein Wunder, dass der Schweizer Versicherungskonzern sein Markenzeichen vorübergehend von allen Social-Media-Profilen genommen hat, wie unter anderm die Zeitschrift Versicherungswirtschaft berichtete. Hinzu kommt, dass in Deutschland das „Z“ zunehmend als Befürwortung des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine interpretiert und unter Strafe gestellt wird. Grundlage dafür ist §140 des Strafgesetzbuchs. Die seit 150 Jahren bestehende Zurich will notfalls sogar ganz auf das Z als ihre zentrale Wort- und Bildmarke verzichten.

Fazit: Respekt fürs Ringen um eine differenzierte Position

Angesichts des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine sowie der Gräueltaten in Mariupol, Butscha und anderen Städten hat die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine oberste Priorität. Aber ist jedes Unternehmen, das nicht sein Russland-Geschäft als Zeichen der bedingungslosen Solidarität mit der Ukraine einstellt, automatisch ein Feind der Ukraine? Viele Menschen sehen das so. Doch gerade Familienunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz bemühen sich um eine differenziertere Sicht. Das ist sehr anstrengend und riskant, weil ihre Reputation auf dem Spiel steht. Doch genau deshalb verdient das glaubwürdige Ringen der Unternehmen um eine differenzierte Position Respekt.

Fotos in der Collage: Zurich Insurance, Ritter Sport, Knauf, Mondi

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Dr. Dominik Faust

Der Autor verbindet operative Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz sowie zertifizierte Veränderungs-Kompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise. Er verfügt über langjährige Expertise und etliche Zertifikate in Change Leadership, Change Management, digitaler Kommunikation und Facilitation. Als Führungskraft (+70 MA) und Top-Management-Berater hat er bereits zahlreiche Wandelvorhaben erfolgreich initiiert und konzipiert. Dominik promovierte über notwendige Veränderungen internationaler Organisationen zur Steigerung ihrer Effektivität und Effizienz. Auf Basis seiner breiten theoretischen und praktischen Change-Expertise berät er im viadoo-Team erfolgreich Führungskräfte auf C-Level.